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Die Töchter der Lagune

Die Töchter der Lagune

Titel: Die Töchter der Lagune
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Küstenstadt.

Kapitel 1
     
Zypern, die Zitadelle von Famagusta, Dezember 1570
     
    Marcantonio Bragadin, der Gouverneur von Famagusta, war rastlos. Er hatte bereits vor geraumer Zeit Boten nach Venedig gesandt, um den Senat über die verzweifelte Lage der Stadt zu informieren, aber bisher hatte ihn noch keine Antwort erreicht. Sie benötigten dringend mehr Männer, Munition und Nahrungsmittel, ansonsten würden sie sich der türkischen Belagerungsmacht ergeben müssen. Obwohl die osmanische Flotte über den Winter nach Konstantinopel zurückgekehrt war, hatte sich die Lage kaum entspannt. Die Landmacht, die in Pomodamo ihr Lager aufgeschlagen hatte, war immer noch Furcht einflößend genug – auch wenn das Dorf drei Meilen südlich von Famagusta lag. Er befürchtete, dass die Angriffe, die sie zurzeit erfuhren, nur einen Vorgeschmack auf Zukünftiges darstellten, und was nutzte ihnen der ungehinderte Zugang zum Hafen, wenn es keine verbündeten Schiffe gab, die dort landeten.
     
    Die See gab sich ruhig an diesem Tag, denn das Wetter war umgeschlagen. Anstelle des stürmischen Klimas, das sie in den letzten paar Wochen hatten ertragen müssen, strich nun ein sanfter, warmer Wind von Osten her über das Land. Der Gouverneur stand auf den Zinnen des trutzigen Rundturms der Zitadelle, der sogenannten Seefestung, die nach Osten wies. Die Zitadelle mit den dicken Mauern und dem ausgeklügelten Verteidigungssystem war eine Festung innerhalb der Festung – der letzte Kern des Widerstands, sollte die Stadt fallen.
     
    Die Palmen und Zypressen wiegten sich in der sanften Brise und Marcantonio hätte die Wärme der Dezembersonne genossen, wäre er nicht von Sorge zerfressen gewesen. Falls sich die Verstärkung nicht beeilte, würde bald nichts mehr übrig sein, das verstärkt werden konnte. Die Türken griffen nun seit beinahe drei Monaten ohne Unterlass den äußeren Verteidigungsring an und, er seufzte innerlich, noch hielt er stand. Aber wie lange noch? Hinter sich hörte er den dumpfen Donner der Kanonen. Er wusste, dass der ununterbrochene Beschuss der Stadtmauern nur ein einziges Ziel verfolgte: sie in der Stadt einzuschließen und dazu zu zwingen, ihre Vorräte aufzubrauchen. Famagusta war zu einem gewaltigen Gefängnis geworden. Die schrill tönende Alarmglocke riss ihn aus seinen Gedanken. Er wurde im Kampf gebraucht. Hastig stürzte er die Stufen ins Innere der Festung hinunter.
     
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Venedig, eine Casa in der Nähe der Piazza San Marco, Dezember 1570
     
    „Wie kannst du es wagen?!“ Angelina funkelte ihre Schwester Desdemona wütend an, die braunen Augen dunkel vor Zorn. Ihre schlanke Silhouette wurde von den Strahlen der frühen Morgensonne, die zaghaft durch das hohe Doppelfenster fielen, hervorgehoben. Bei Desdemonas Zurechtweisung war sie herumgewirbelt, wobei ihr langes schwarzes Haar und die sich bauschende Camicia der abrupten Bewegung mit einem flüsternden Geräusch folgten. Ihre hübschen Gesichtszüge waren vor Wut verzerrt, und die Erregung malte rote Flecken auf ihre ansonsten makellos weißen Wangen. „Du kennst ihn ja überhaupt nicht!“ Sie schleuderte ihrer Schwester die Worte entgegen, als ob die bloße Heftigkeit, mit der sie sie hervorstieß, den ungeheuerlichen Vorwurf auszulöschen vermochte.
     
    Desdemona saß in eine leichte Leinendecke gewickelt mit gekreuzten Beinen auf dem ausladenden Himmelbett. Ihre hüftlangen, blonden Locken waren vom Schlaf zerzaust, doch ihre intelligenten blauen Augen ruhten mit einem überraschten und gleichzeitig verletzten Ausdruck auf Angelinas hochrotem Gesicht. Die beiden Mädchen hatten die Nacht nach dem gestrigen Ball zusammen verbracht – Angelina war zu aufgewühlt gewesen, um in ihrer eigenen Kammer zu schlafen. Desdemona hatte versucht, das Thema in den frühen Morgenstunden anzuschneiden, als es ihr endlich gelungen war, ihre Schwester davon zu überzeugen, dass es an der Zeit war, sich zurückzuziehen. Doch Angelina hatte ihr keine Gelegenheit gegeben, ihre Zweifel über die Natur von Cesares Aufmerksamkeiten zu äußern. Nachdem sie dem vernarrten Geplapper ihrer Schwester zugehört hatte, während sie sich die unzähligen Lagen Kleidung vom Leib schälte, war sie schließlich zu müde gewesen, um zu streiten. Aber nun, nach ein paar Stunden erfrischenden Schlafes, fühlte sie sich der Aufgabe gewachsen, ihre Schwester zur Vernunft zu bringen. „Ja, du hast recht.“ Sie hob beschwichtigend die Hand, um Angelina davon
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