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Die Todespfeiler

Die Todespfeiler

Titel: Die Todespfeiler
Autoren: Hans Kneifel
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Schreien der Todespfeiler.«
    »So wie die Schlackenhelme und das Wachs in den Ohren der Mannschaft?« wollte Necron wissen. »Und wie mein DRAGOMAE-Bruchstück«, dachte er.
    »Genauso, Necron. Es ist ihre Aufgabe, das Schreien abzufangen und abzuschwächen. Wer sich bei den Steinernen Ohren aufhält, ist meist vor dem Wahnsinn geschützt. Aber man munkelt, daß die Ohren Botschaften aus der Schattenzone auffangen.«
    »Unglaublich«, sagte der Steuermann und drehte das Ruder herum. Die Männer an den Riemen änderten die Bewegung. Langsam zog die Guinhan rückwärts an die Kaimauer heran. Vier Männer mit aufgeschossenen Leinen standen bereits im Heck, während die Menschen am Kai von den schwarzen Pollern zurückwichen.
    »Willkommen, schönes Schiff!« schrien ein paar junge Männer fröhlich herüber. Ihre Begeisterung klang echt.
    »Danke!« rief der Steuermann zurück.
    Jetzt, erhellt durch die Lichtkreise zahlloser Lampen und Fackeln, bildeten alle Gebäude würfelförmige und kantige, scheinbar aufeinandergetürmte Teile. Wie blinzelnde Augen wirkten Fenster und Türen, wenn jemand zwischen dem Licht und draußen vorbeiging. Zahllose Gerüche wehten den Hügel herunter: Fisch und saurer Wein, ein Geruch nach Moder und nie gelüfteten Kavernen, nach faulendem Holz und feuchter Segelleinwand. Als Odam das neben ihnen liegende Schiff musterte, erschrak er.
    »Ein halbes Wrack«, murmelte er und stieß Necron an. Necron folgte seinem Blick, als gerade die vier Leinen durch die Luft flogen und von Wahnhallern aufgefangen wurden. Die Enden wurden um die Poller gelegt, dann festgeknotet und schließlich vom Schiff her angezogen. Der Hafen hallte wider, als der Anker und die zwanzig Fuß lange Kette über den Bug ausgebracht wurden und klatschend im Wasser versanken.
    Schlamm, den man im Dunkeln nicht sah, wallte auf und roch abscheulich.
    »Tatsächlich!« gab Necron nach einigen Atemzügen zu.
    Ratternd und klappernd verschwanden die Riemen im Schiffsbauch. Die kleinen Luken wurden zugeschlagen zum Schutz gegen Ratten und andere Schädlinge.
    Das Schiff neben ihnen, größer als die Guinhan, lag bis zu den verstopften unteren Luken im Wasser. Auf dem unterarmstarken Ankertau wuchsen nicht nur lange Bärte aus schwarzen Ranken, sondern auch Gräser und kleine, stachelige Gewächse. Entlang der Wasserlinie klebten große, phosphorn leuchtende Muscheln und öffneten und schlossen ihre Schalen im Rhythmus der Wellen. Hinter den oberen Luken und hinter zersplitterten Spanten und aufgebrochenen Planken schimmerte Licht. Bärtige Gestalten schlichen auf dem knarrenden, eingesunkenen Deck hin und her und äugten zur Guinhan herüber.
    »Exyll!«
    Der Wahnhaller, der eben seinen Männern gesagt hatte, noch nicht den Kai zu betreten, sah Necron fragend an. Inzwischen brannten auch auf dem neu angekommenen Schiff hinter sicheren Tongittern und in eisernen Käfigen Sturmlampen und erhellten Deck und Niedergänge.
    »Was willst du wissen?«
    »Dieses Schiff dort – es wird bald auseinanderfallen. Wenn es in die Strömung vor dem Hafen gerät, bricht es in Trümmer!«
    »Auch dieses Schiff wird niemals mehr auslaufen.«
    »Wie kommt das?«
    Exyll machte eine weitschweifende Geste und erklärte:
    »Sie legten einst hier an, alle diese Wracks und heruntergekommenen Schiffe. Dann sah der eine oder andere Kapitän, wie die auslaufenden Schiffe von der Strömung fortgerissen wurden. Als sie erst einmal das Brüllen der Todespfeiler hörten, wagte sich keiner mehr hinaus. Mit der Zeit wurden es mehr und mehr, ein paar sanken oder wurden in den Kaminen stückweise verfeuert. Und jetzt sind sie alle Bewohner von Orankon geworden.«
    Er zuckte wegwerfend die Schultern.
    »Und auf allen Schiffen hausen Gestalten und Wesen, die in ihrer Art einzigartig sind. Wahnsinnige in einem Hafen des Irrsinns. Glaubt mir nur! Ich weiß, wovon ich spreche.«
    Bärtige, zerlumpte Gestalten wurden sichtbar. Sie winkten kraftlos zur Guinhan herüber. Wäsche hing von dem stehenden Tauwerk, Zelte waren an Deck aufgespannt, und auf dem Heckplatz wuchsen in eckigen Behältern aus Planken und Brettern dunkelgrüne Pflanzen mit gelben Früchten.
    »Ich sehe«, bemerkte Odam ruhig, »daß wir heute wohl an Bord bleiben sollten.«
    »Das sind meine Befehle!« bestätigte Necron.
    Langsam gingen einige Männer zum Heck des Schiffes. Noch waren die federnden Planken nicht ausgebracht worden. Lärmen, Gelächter und Musik kamen aus den offenen Türen der
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