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Die Tochter des Teufels

Die Tochter des Teufels

Titel: Die Tochter des Teufels
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Hebamme, knurrte etwas Unverständliches. Sie wickelte das Kind in saubere Tücher und legte es in eine geflochtene Wiege. In ihr hatte schon Helena Feodorowna gelegen, vor 24 Jahren. Die alte Klaschka watschelte herum und räumte auf.
    »Sie schläft«, sagte sie leise. »Und sie lächelt …«
    »Eine Schande ist's!« Darja Nikolajewna wusch den nackten Leib Helenas. Sie wachte nicht davon auf, so erschöpft war sie. »Wie kann ein so hübsches, sauberes, reiches Mädchen einen so dreckigen Kerl wie Grigori Jefimowitsch lieben? Und sie liebt ihn wirklich!« Und dann tat die Krawzowa etwas, was noch niemand von ihr gesehen hatte: Sie beugte sich über Helena Feodorowna und küßte sie auf die geschlossenen Augen. »Sei stark, mein Täubchen«, sagte sie dabei. »Das Schicksal wird mit dir spielen wie der Wind mit einem Blatt …«
    Das Glöcklein läutete im Zwiebelturm. Die Sonne schien. Der Bettler rappelte sich hoch, klemmte seine Blechschüssel unter den Arm und ging zurück zur Tür. Aus dem Küchenfenster wehte der Geruch von Fischsuppe und gebratenem Speck. Die alte Klaschka hantierte mit klappernden Pfannen und Tiegeln und sah aus dem Fenster, als der Bettler den Vorgarten betrat.
    »Ein Junge oder ein Mädchen, Mütterchen?« fragte er und hielt seine zerbeulte Schüssel hoch.
    »Ein Mädchen, du Scheusal!«
    »Dann bekomme ich eine volle Schüssel Borschtsch!«
    »Auch zwei. Heute ist hier ein glückliches Haus. Setz dich vor die Tür, ich komme mit dem Kessel.«
    Es war im Jahr 1897. In Sibirien. Im Dorf Podunskoje, im Bezirk Tobolsk. Nadja Grigorijewna Woronzowa war geboren.
    »Wir sind nur Staub auf dieser Erde, o Herr, erhöre unser Flehen …«, sangen die Mönche von Werchoturje hinter der Ikonostase. Sie sangen besonders feierlich, denn heute war Sonntag, und viele Gläubige waren in die Klosterkirche gekommen.
    Das Kloster von Werchoturje liegt auf einem Felsen an der Tura, und es hat den großen Segen, daß in ihm der heilige Semjon begraben liegt. So war man es gewöhnt, daß jeden Sonntag viele Bauern und sogar reiche Reisende den Felsen hinaufwanderten und am Grab des wundertätigen Semjon beteten. Semjon galt als ein Wundertäter, der vor allem die Familie beschützte und für einen gesunden Nachwuchs jegliche Fürbitte annahm. Wen wundert es da, daß vor allem viele Weiblein vor der Grabesplatte knieten, Kerzen opferten und ohne Murren Kopeken oder gar Rubel in die Beutel legten, die ihnen die Klosterbrüder unter die Nase hielten.
    Auch an diesem Sonntag war das Grab des heiligen Semjon dicht umringt, Hunderte von Kerzen flackerten, es roch nach Wachs und geölten Stiefeln. Im Hintergrund der Grabeskapelle, verborgen hinter der goldenen Ikonostase, sang der Mönchschor von der großen Schuld auf Erden, vier Brüder liefen zwischen den Reihen der Gläubigen umher und kassierten, und der Vater Abt stand abseits an einer Säule unter einem Marienbild und freute sich still über die Tageseinnahme.
    Ein sibirisches Kloster – das muß man wissen, um vieles zu verstehen – mußte sich damals selbst ernähren. Hier hinter dem Ural gab es keine Spenden von reichen Gläubigen, keine immer fließenden Pachtzinsen aus eigenen Ländereien, keine staatlichen Zuschüsse … Mönch sein in Sibirien war eine echte Kasteiung, man war arm wie ein hungriger Wolf.
    Anders war es allerdings, wenn man das Glück hatte, einen Wundertätigen zu präsentieren, einen Heiligen, einen Seligen oder zumindest einen der frommen Idioten und Stammler, die sich ein jegliches Kloster hielt, um den einfältigen Bauern den Schauer religiöser Ekstase zu zeigen.
    Wer wußte schon, daß diese ›heiligen Idioten‹ nur erbarmungswürdige Epileptiker waren, deren Gestammel und Schaum vor dem Mund während ihrer Anfälle als Zeichen göttlicher Verzückung bezeichnet wurden?
    Unter den Betenden am Grab des heiligen Semjon fiel dem Abt seit Wochen ein Mann auf, der – wie man sagte – im Landwirtschaftsbetrieb des Klosters sich nützlich machte, Holz hackte, die Pferde lenkte und putzte, fleißig betete, die Bibel las, sich mit den Popen über Himmel und Hölle unterhielt, über Sünde und Buße, Psalmen auswendig lernte und auf den Feldern den Bauern etwas vorpredigte, des Nachts aber durch die Gegend schlich und den willigen Weibchen an die Röcke griff. Jeden Sonntag aber kam er zur Grabeskirche des heiligen Semjon, so wie er war, mit seinen struppigen langen Haaren, seinem wilden Bart, dem alten Bauernhemd, das ein roher
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