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Die Tochter des Teufels

Die Tochter des Teufels

Titel: Die Tochter des Teufels
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Lederriemen zusammenhielt, den langen schwarzen Hosen und den plumpen, dicken Muschikstiefeln, die er nie putzte. Seine Stimme dröhnte im Chor der Gläubigen wie eine Orgel, und oft betete er laut mit dem Popen mit, was diesen ungemein irritierte.
    »Er ist ein merkwürdiger Mensch«, sagte der Pope Kyrill vor einer Woche. »Ich fragte ihn, warum er hier sei und wie ein Ochse arbeite, und er sieht mich an mit einem Blick, daß es mir ganz heiß wird, umarmt mich, küßt mich auf beide Wangen und sagt: ›Väterchen, es steht geschrieben: Wer den Himmel erschauen will, muß auch die Hölle kennen.‹ Man sollte ihn fragen, ob er nicht als Laienbruder bei uns eintreten will. Er hat eine starke Ausstrahlung. Was haltet ihr davon?«
    Hinter der Ikonostase begann der Mönchschor ein neues Lied. Weitere Gläubige kamen und drängten zum Grab des heiligen Semjon. Der Mann mit dem wirren Bart erhob sich plötzlich, richtete sich hoch auf, blickte hinauf zu den Fenstern und ging dann durch die Reihen der Betenden.
    Verwundert sah der Abt ihm zu. Der Muschik trat aus dem betenden Volk heraus, kam auf ihn zu, und ehe der Abt einen Schritt zurückweichen konnte, hatte der Mann die Arme ausgebreitet, den Abt umarmt und geküßt.
    »Freue dich mit mir, Väterchen!« sagte er mit einer tiefen, schönen Stimme. »Soeben hat mir ein Weib, Helena Feodorowna, ein Kind geboren. Ein Mädchen. Ich bin ein glücklicher Mensch. Segne mich, Väterchen …«
    »Ein Kind?« Der Abt von Werchoturje strich sich verwirrt über die Augen. »Wo … ein Kind?«
    »In Podunskoje, einem Dorf am Tobol, Väterchen. Im Bezirk Tobolsk.«
    »Und wann … wann wurde es geboren?« fragte der Abt. Ein merkwürdiges Gefühl umklammerte sein Herz.
    »Soeben, Väterchen. Während ich kniete und betete … da geschah es.« Der bärtige Mann lachte fröhlich. Keine heilige Scheu war in ihm, nur ehrliche männliche Freude. »Gott hat es mir gesagt. Ich habe seine Stimme gehört. Geh zurück nach Podunskoje – sagte er –, ein Kind hast du. Ein Mädchen, das so heißt, wie du seine Mutter nennst: Nadja.« Der Mann mit dem struppigen Bart senkte den wilden Kopf. »Segne mich und das Weib Helena Feodorowna und unser Kind, Väterchen.«
    Der Abt sah sich um. Vor dem Grab des heiligen Semjon beteten versunken die Gläubigen, die Klosterbrüder sangen hinter der Ikonostase oder sammelten fleißig ein. Es fiel nicht auf, wenn er jetzt etwas Ungewöhnliches tat.
    Er beugte sich vor, schlug das Kreuz über dem Haupt des hingeknieten Bauern, hob ihn auf, drückte ihn an seine Brust und küßte ihn.
    »Wer bist du?« fragte er danach.
    »Grigori Jefimowitsch Rasputin«, sagte der Bärtige. Mit lauten, unheiligen Schritten ging er an den Betenden vorbei, hinaus aus der Kapelle in den feuchten Frühlingstag.
    Die Geburt von Nadja Grigorijewna blieb kein Ereignis allein für das Haus Woronzow. Die Behörden in Tobolsk interessierten sich sehr dafür, und so kam ein kaiserlicher Richter extra mit einem Schiff nach Podunskoje, um zu fragen, wer der Vater sei. Bei jeder Bäuerin hätte man das übersehen. Sie bekommen Kinder wie Hasen, sagte man dazu. Wen interessiert der Vater? Sibirien braucht Menschen. Bei Helena Feodorowna allerdings lag der Fall ganz anders. Ihr verunglückter Mann Wladimir gehörte einer Schicht an, die in Petersburg und Kiew Bankhäuser besaß, Offiziere und sogar zwei Richter stellte. Was da in dem Dorf Podunskoje bei der Frau des Vetters Wladimir geschehen war, konnte deshalb nicht ungeprüft hingenommen werden. Schließlich war das Kind einmal der Erbe der Ländereien am Tobol, wenn man nicht eine Möglichkeit fand, Helena Feodorowna aus der Familie auszustoßen. Zuerst aber mußte der Vater bekannt werden. Man munkelte von einem jungen Offizier, der in Tjumen in der Garnison lag. Ein Graf Danilo Saraskoy. Er leugnete zwar und behauptete, die Witwe Woronzowa gar nicht zu kennen, aber wer gibt schon zu, Vater eines unehelichen Kindes zu sein, vor allem, wenn man eine Offiziersuniform trägt.
    Helena Feodorowna empfing den kaiserlichen Untersuchungsrichter in ihrem Salon im Parterre des großen Holzhauses. Die Wiege stand neben ihr, und Nadja schrie ohrenbetäubend, als der Herr aus Tobolsk ins Zimmer geführt wurde.
    »Sehen Sie sich das Kind an, Maxim Kyrillowitsch«, sagte Helena stolz und deckte das kleine strampelnde Wesen auf. »Mir sieht es ähnlich! Was wollen Sie mehr! Hat es einen Vater? Ich weiß es nicht.«
    Der Untersuchungsrichter kaute an
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