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Die Tochter des Teufels

Die Tochter des Teufels

Titel: Die Tochter des Teufels
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dich zu Bett legen, Vögelchen.« Der Bärtige sagte es so, daß es keine Widerrede gab. »Ich sehe, man muß sich um dich kümmern. Du bist so einsam trotz all der Menschen, die um dich sind. Ein einsames Herz aber ist der halbe Tod …«
    Am nächsten Morgen wachte Helena Feodorowna auf, weil ein bärtiger Mund sie küßte. Sie dehnte sich unter den warmen streichelnden Händen und schloß wieder die Augen vor atemloser Seligkeit.
    »Wer bist du?« fragte sie und schwamm in neuer träger Müdigkeit.
    »Man nennt mich Grigori Jefimowitsch Rasputin.« Helena öffnete die Augen. Rasputin saß auf der Bettkante, angezogen mit seinem dreckigen Muschikzeug. Er war reisefertig, das sah sie. Er nahm Abschied nach einer Nacht, die Himmel und Hölle zugleich gewesen war.
    »Kommst du wieder?« fragte sie. Sie hielt seine Hand fest, zog sie zu sich und küßte sie. »Ich kann nicht mehr leben ohne deine Hände.«
    »Ich werde wiederkommen.« Rasputin erhob sich. Seine Augen hatten sich wieder verfärbt … nun waren sie dunkel wie ein Nachthimmel. »Ich war sehr glücklich, Helena Feodorowna. Glück ist so selten.«
    »Bleib!« rief sie. Sie schnellte aus dem Bett und umklammerte ihn. Ihr schmaler, nackter weißer Körper zuckte. »Bleib bei mir, Grigori Jefimowitsch. In Seide werde ich dich kleiden, mit einer Kutsche werden wir herumfahren, die großen Städte werden wir besuchen … es wird ein herrliches Leben werden!«
    Rasputin schüttelte den struppigen Kopf. Vorsichtig löste er die Arme von seinem Nacken und legte Helena ins Bett zurück wie ein krankes kleines Kind.
    »Pokrowskoje erwartet mich«, sagte er und deckte Helena zu. »Ich habe Praskowja über ein Jahr nicht gesehen …«
    »Wer ist Praskowja?« fragte Helena.
    »Meine Frau«, sagte Rasputin.
    Da schnellte sie hoch, Feuer sprühte aus ihren Augen. Sie riß an der Glocke und schellte und schellte, bis das Glockenseil zerriß und die drei Mädchen und sogar der greise Stallknecht in das Schlafzimmer rannten.
    »Hinaus mit ihm!« schrie sie und zeigte auf Rasputin. »Werft ihn vor die Tür wie einen räudigen Hund! Jagt ihn vom Hof. Treibt ihn aus dem Dorf! Zeigt dem stinkenden Muschik, was eine Herrschaft ist …«
    In das Zimmer stürmten jetzt drei andere Knechte. Sie ergriffen Rasputin, stießen ihn die Treppe hinunter, aus dem Haus, durch den Garten und auf die Straße, und dort prügelten sie auf ihn ein mit Knüppeln und Schaufeln, und als er wegrannte, bewarfen sie ihn mit Steinen, und er lief und lief, hinunter zum Fluß, warf sich in den nassen Sand und keuchte und röchelte wie ein an Land geworfener Fisch.
    »Gott verzeih dir, Helena Feodorowna«, sagte er, als er ruhiger wurde. »Gott wird dir verzeihen. Ich liebe dich, aber mein Weg ist vorgeschrieben und kreuzt nur deine Lebensbahn.«
    Dann kniete er am Ufer des Tobol und betete, sah noch einmal zurück auf den kleinen Zwiebelturm der Kirche, umging in einem weiten Bogen das Dorf Podunskoje und wanderte weiter durch das unendliche Land, dem Himmel zu, der am Horizont mit der Erde verschmolz.
    »Ein Halunke bist du! Ein Gauner! Ein Schurke!«
    Es war die alte Klaschka, die so schrie, und das am gesegneten Sonntagmorgen. Lange blaue Röcke trug sie, eine gelbe wollene Bluse und darüber eine geblümte Schürze. Die war naß und fleckig, und die Flecken sahen aus wie Blut. Außerdem schwitzte die alte Klaschka. Das weiße Haar klebte an der niedrigen Stirn, zu dampfen schien sie in ihren Kleidern. Dabei war es gar kein heißer Tag. Vom Tobol zogen Nebelschwaden über das flache Land, und die Sonne schwamm hinter grauen Vorhängen. Gerade war das Eis geschmolzen, die Felder standen noch unter Wasser, in den Straßen des Dorfes quietschte der Schlamm unter den Stiefeln. April war's, die Krokusse blühten, und alles wartete auf die Trockenheit.
    Der Bettler, den die alte Klaschka so beschimpfte, zog die Schultern hoch und strich sich seinen langen, verfilzten Bart. Erbarmungswürdig sah er aus. Ein geflicktes Hemd, darüber ein zerrissener Mantel, lehmbeschmutzte Hosen und um die Füße dicke Lappen, zusammengehalten durch rohe Hanfschnüre, die bis zu den Knien reichten, so stand er da, ein Bild des Elends, und hielt seine Blechschüssel hin.
    »Ein Süppchen, verehrtes Mütterchen«, sagte der Bettler und verdrehte die Augen. »Nur ein Löffelchen voll für einen gottgeweihten Mann …«
    »Scher dich weg!« schrie die alte Klaschka. »Geh nebenan zu Promieff, der hat Geld genug, der
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