Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen
Autoren: Michael Swanwick
Vom Netzwerk:
Dennoch war sie froh, ihn zu sehen. Sie hatten so etwas wie eine knisternde Freundschaft entwickelt, und Jane hatte nach und nach verstanden, daß Rooster unter dem großspurigen Gehabe und der Gedankenlosigkeit eigentlich ziemlich nett war. »Was müssen wir wegen Stilt entscheiden?«
    »Darüber müssen wir doch sprechen, du Dummkopf!«
    »Ich bin müde«, knurrte Jane. »Ich habe einen langen Tag hinter mir, und ich bin nicht in der Stimmung für deine Mätzchen. Wenn du’s mir nicht sagen willst, leg ich mich wieder schlafen.«
    Er wurde weiß im Gesicht und ballte die Fäuste. »Was ist das - Meuterei? Ich bin hier der Anführer. Du wirst tun, was ich sage, wenn ich es sage, weil ich es sage. Kapiert?«
    Einen Augenblick lang maßen sich Jane und Rooster abschätzend. Er war ein Elfen-Bastard, eines jener Wesen, die vor einem Jahrhundert wild in den Wäldern gelebt hatten, gelegentlich herausgekommen waren, um den Stuhl einer Melkerin umzukippen oder die Nähte an Säcken mit gemahlenem Mehl zu lockern, so daß sie aufreißen würden, wenn man sie über die Schulter warf. Solche wie er mochten nicht mit allzu großen geistigen Gaben gesegnet sein, waren jedoch für jede Bösartigkeit zu haben und zäh wie Ratten. Er arbeitete als Junge für den Eisenschrott, und niemand bezweifelte, daß er seinen Kontrakt überleben würde.
    Schließlich senkte Jane den Kopf. Sich mit ihm anzulegen war die Sache nicht wert.
    Als sie aufschaute, war er verschwunden, um die anderen zu wecken. Jane folgte ihm und legte die Decke wie einen Mantel um sich. Ringsumher hörte sie das Scharren von Füßen und Klauen und rasches Atemholen, während sich die Kinder in der Mitte des Raums versammelten.
    Dimity holte einen gestohlenen Kerzenstummel hervor und verkeilte ihn an der breitesten Stelle eines Spalts zwischen zwei verbogenen Dielenbrettern. Alle knieten im Kreis darum. Rooster brummte unterdrückt ein Wort, und ein Funke sprang von seiner Fingerspitze zum Docht hinüber.
    Eine Flamme tanzte über der Kerze, und alle Blicke kehrten sich nach innen. Die Kerze warf phantastische springende Dinge an die Wände, wie eine zweidimensionale Walpurgisnacht . Dreiundzwanzig kleinere Flammen tanzten in ihren Pupillen. Das waren sie also, ein Dutzend. Sie nahmen an, daß der Schattenjunge irgendwo in der Nähe lauerte, sich dem größten Teil des Lichts entzog und den Rest so stark absorbierte, daß kein einziges Photon entkam und seinen Aufenthaltsort verriet.
    Mit feierlicher, großspuriger Stimme sagte Rooster: »Blugg muß sterben.« Er zog eine Puppe aus seiner Weste. Ein mißgestaltetes kleines, plump zusammengenähtes Ding. Es hatte zwei große Knöpfe als Augen und ein gerades Stück Holzkohle als Mund. Aber ihm haftete der Gestank nach Macht daran, und bei seinem Anblick schlossen mehrere der kleinen Kinder die Augen in mitfühlendem Haß. »Skizzlecraw hat das Blut einer Hexe. Sie hat das hier gemacht.« Skizzlecraw neben ihm nickte unglücklich. Die Puppe war ihr strenggehüteter Schatz, und nur die Lady wußte, wie Rooster sie ihr abgeschwatzt hatte. Er kokelte damit über der Kerze. »Wir haben die Gebete gesprochen und das Blut vergossen. Jetzt müssen wir lediglich etwas, das Blugg berührt hat, in ihren Magen einnähen und sie in einen Hochofen werfen.«
    »Das ist Mord!« sagte Jane entsetzt.
    Thistle kicherte.
    »Das meine ich ernst! Nicht nur, daß es falsch ist, es ist auch eine blöde Idee.« Thistle war ein Gestaltwandler, wie Stilt, und wie alle Gestaltwandler etwas beschränkt. Jane hatte vor langer Zeit gelernt, daß man Thistle nur zum Schweigen bringen konnte, wenn man sie direkt herausforderte. »Was brächte das schon? Selbst wenn es gelänge - was ich bezweifle -, gäbe es hinterher eine Untersuchung. Und falls sie uns durch irgendein Wunder nicht entdeckten, würden sie Blugg einfach durch irgend jemanden ersetzen, der genauso schlimm ist. Welchen Zweck hat es also, ihn umzubringen?«
    Das hätte ihnen den Mund stopfen sollen. Zu Janes Überraschung jedoch erhob sich ein Chor ärgerlicher Stimmen wie das Lied einer Grille.
    »Er behandelt uns zu streng!«
    »Er schlägt mich!«
    »Ich hasse diesen verfaulten alten Stinker!«
    »Tötet ihn!« sagte der Schattenjunge mit zitternder Stimme unmittelbar hinter ihrer linken Schulter. »Tötet das große dumme Arschloch!« Sie fuhr herum, und er war nicht da.
    »Seid still!« Rooster warf Jane einen finsteren Blick zu und sagte: »Wir müssen Blugg umbringen. Es gibt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher