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Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen
Autoren: Michael Swanwick
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Gewicht. Aber sie würde es nicht weggeben. Es gehörte jetzt ihr.
    Der Schattenjunge stand im offenen Tageslicht, so nahe an der Sichtbarkeit, wie er es vermochte. »Warum hast du so lang gebraucht?« flüsterte er voller Furcht. »Er wird bald kommen.«
    »Hier!« Sie warf ihm das Buch zu. »Bring das zum Schlafsaal, rasch, und versteck es unter meiner Decke.« Als er sich nicht rührte, fauchte sie: »Wir haben keine Zeit für Fragen. Tu’s einfach!«
    Mit einer dem Weinen nahen Stimme fragte der Schattenjunge: »Aber was ist mit meinem Mittagessen?«
    »Du kannst meins haben.« Jane fischte ihr etwas plattgedrücktes Sandwich aus der Schürzentasche und knallte es auf das Zauberbuch. »Jetzt geh!«
    Eine unklare Bewegung, die ein Schulterzucken gewesen sein mochte, und der Schattenjunge war verschwunden. Jane sah ihn nicht gehen. Es war, als hätte er sich einfach in den Glanz verflüchtigt und aufgehört zu sein.
    Sie hob eine Hand an den Mund, um die gestohlenen Fingernägel auszuspucken, und sah gleichzeitig, wie ihr Blugg quer über die Gießerei mit zusammengekniffenen Augen direkt ins Gesicht sah. Jane war wie gelähmt und fühlte sich durchschaut.
    Dann riß sich Rooster von dem Hogman los und rief dem Riesen etwas zu. Mit wütendem Gebrüll packte der Sand Slinger die erstbeste Waffe und schleuderte sie.
    Blitze zuckten.
    Das Nachbild des geschmolzenen Eisens, das von der geschleuderten Gußkelle spritzte, brannte sich in Janes Augen ein. Stimmen hoben sich zu einem furchterfüllten Gemurmel, das durchsetzt war von drängend gerufenen Befehlen. Hoch über allem kreischte Rooster voller Qual.
    In dem Durcheinander gelang Jane die Flucht. Sie war im Nu an ihrer Bank zurück und streifte sich hastig die Handschuhe über. Vielleicht hatte Blugg sie nicht richtig gesehen. Vielleicht hatte er sie in all der Aufregung vergessen.
    »Hast du sie?« flüsterte Smidgeon. Eine Sekunde lang wußte Jane nicht, wovon sie redete. Dann erinnerte sie sich, nickte und spie die Fingernägel in die Hand. Smidgeon nahm sie und reichte sie die Reihe hinab zu Lumpbockle, der sie weitergab zu Little Dick, und von dort aus verlor Jane die Spur. Sie schüttelte etwas Schmirgelpulver in die Handfläche des Handschuhs. Zurück an die Arbeit. Das war der sicherste Kurs.
    Auf der anderen Seite der Fabrikhalle wurde Roosters lebloser Körper weggekarrt. Lederbehelmte Spriggans rannten umher und löschten kleine Feuer, die das geschmolzene Metall entfacht hatte. Wasser zischte und verdampfte. Ein sengender Geruch lag in der Luft.
    Über all dem polterte das Gelächter des Sand Slingers wie Donner.

    Blugg stieg zur Werkbank hinab, das Gesicht schwarz vor Wut. Er schlug die Hand so hart auf den Tisch, daß die Schmirgelschalen hüpften. »Steht auf, verdammt!« schrie er. »Steht auf, wenn ich mit euch spreche!«
    Sie standen auf.
    »Ihr schmutzigen kleinen Scheißer! Ihr wertlosen, erbärmlichen ...« Er schien außerstande, die Gedanken beisammenzuhalten. »Wer hat Rooster dazu veranlaßt? Das will ich wissen. Wer? Häh?« Er packte Smidgeon mit einer gewaltigen Pranke und hob das unglückliche Wesen hoch. »Sag’s mir!« Er verdrehte ihr das Ohr, bis sie wimmerte.
    »I-ich glaub, er hat’s von sich aus getan, Sir. Er ist schon immer ein Wilder gewesen.«
    »Bah!« Blugg ließ Smidgeon verächtlich fallen und wandte sich Jane zu. Sein Gesicht schwoll vor ihr an und wurde ebenso groß und ehrfurchtgebietend wie der Mond. Jane roch seinen Schweiß, nicht den feinen, sauberen, strengen Geruch eines Rooster oder eines Schattenjungen, sondern den starken sauren Geruch eines erwachsenen Mannes. Er hatte gelbe kleine Zahnstümpfe, die schwarz wurden, wo sich das Zahnfleisch zurückzog. Eine Faser verfaulten Fleischs, die sich zwischen zweien der Zähne verfangen hatte, hypnotisierte Jane. Sie konnte nicht wegsehen.
    »Du ...«, fing er an. Dann wich er zurück, wobei er den Kopf wie ein Bulle schüttelte, und wandte sich an sie alle: »Ihr glaubt, ihr könnt meine Karriere ruinieren, was?«
    Sie hatten zuviel Furcht, um zu antworten.
    »Nun, da hab ich eine Neuigkeit für euch! Ich bin nicht irgendein schwanzloses Wunder, das ihr jedesmal dann bescheißen könnt, wenn euch danach ist. Ihr macht mir das Leben schwer, und ich mache euch das Leben schwer. Ich werd euch das Leben schwerer machen, als ihr euch das je vorgestellt habt!«
    Er beugte sich vor, drehte sich zur Seite und deutete auf das eigene Hinterteil. »Wenn ihr Schwierigkeiten
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