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Die Tochter des Münzmeisters

Die Tochter des Münzmeisters

Titel: Die Tochter des Münzmeisters
Autoren: Marion Henneberg
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Langsam ging sie weiter darauf zu, und die Menschen öffneten den Ring, um sie durchzulassen. Erst jetzt sah sie ihren Vater. Auf eine Wolldecke gebettet lag er auf dem Rücken, und unter ihm hatte sich bereits ein großer, dunkler Fleck ausgebreitet. Ihre Mutter hatte das Gesicht auf seine Brust gelegt und weinte lautlos, während ihr Oberkörper bebte. Eine eisige Hand griff nach Hemmas Herz und umschloss es. Waltraut, die hinter Edgitha hockte und ihr einen Arm auf den Rücken gelegt hatte, sah Hemma mitfühlend an. Gottwald hatte die Augen geschlossen, und seine Tochter ging langsam an seiner anderen Seite in dieKnie. In dem Moment öffnete er die Augen, seine Lider flatterten, und doch sah er Hemma mit festem Blick an. Mit den Lippen formte er ein paar lautlose Worte, die sie jedoch nicht verstehen konnte. Dann lächelte er, und Hemma schluchzte auf. Sie griff nach seiner Hand und küsste sie, während ihr die Tränen ungehindert über die Wangen liefen.
    »Verzeih mir, Vater, bitte verzeih mir!«, murmelte sie unentwegt.
    Plötzlich fing jemand der Umstehenden leise zu beten an, und Hemma bemerkte mit tränenverschleiertem Blick, dass jedes Leben aus den Augen ihres Vaters verschwunden war.
    Hemmungslos weinend brach sie neben ihm auf dem nassen, schlammigen Boden zusammen.

1. KAPITEL
    Nahe der Hartesburg im Monat August
    im Jahre des Herrn 1072
    S chweiß rann den beiden Reitern über den Rücken, als sie in der einsetzenden Abenddämmerung aus dem Wald herauskamen, und der ältere wischte sich mit einem tiefen Seufzer die hellbraunen, kinnlangen Haare aus dem schmalen Gesicht. Gedankenverloren kratzte er sich über den sorgfältig gestutzten Vollbart und ließ den Blick durch die Landschaft gleiten. Vor ihnen breiteten sich mehrere Felder aus, auf denen im letzten Licht des Tages noch einige Bauern mit der Sense damit beschäftigt waren, die Halme zu schneiden. Mit schwingenden, gleichmäßigen Bewegungen von rechts nach links führten sie das Blatt dicht über den Boden, so dass die blaugrauen, fast zwei Meter hohen Roggenhalme der Länge nach umfielen. In ihren grauen und braunen Leibröcken aus grobem Leinen, die locker bis zu den Knien fielen, unterschieden sie sich farblich nicht von den Frauen, die die abgeschnittenen Halme bündelten. Allerdings hatten die Bäuerinnen ihr knöchellanges Obergewand an den Seiten in den Gürtel gesteckt, da ihnen die dadurch gewonnene Beinfreiheit das Arbeiten erleichterte.
    Als Randolf von Bardolfsburg mit seinem Begleiter an den Menschen auf dem Feld vorbeiritt, verbeugten siesich und hielten den Blick auf den Boden gerichtet, bis die beiden Reiter vorbei waren. Ein paar Mutige sahen ihnen verstohlen nach, und einer von ihnen spie vor sich auf den Boden.
    Randolf sah absichtlich nicht über die Schulter, denn er spürte die hasserfüllten Blicke. Auch sein junger Begleiter war sich offensichtlich der Spannung bewusst, denn trotz seiner nach außen hin lockeren Haltung ruhte Folkmars Hand auf seinem Schwertgriff. Die Reiter hatten bereits vor Stunden ihr Wams aufgeschnürt, denn die Hitze war fast unerträglich. Zum Glück lag das Ziel ihrer Reise nun schon deutlich erkennbar vor ihnen.
    »Seltsamerweise kommt mir die Hartesburg bei jedem Besuch bedrohlicher vor«, unterbrach der Jüngere das Schweigen, nachdem sie die Felder hinter sich gelassen hatten. »Wahrscheinlich würde ich auch so missmutig dreinschauen, wenn ich unterhalb von dem mächtigen Bollwerk arbeiten müsste.«
    »Es ist nicht Missmut, Folkmar, der sich in den Gesichtern der Leute widerspiegelt, sondern blanker Hass«, entgegnete Randolf düster, während er den Blick auf die Burg richtete, die in einiger Entfernung auf dem Berg thronte. »Hass gemischt mit Furcht, und in ein paar Monaten wird noch der Ausdruck des Hungers hinzukommen.«
    Eine Weile herrschte Schweigen zwischen ihnen, denn keiner verspürte Lust auf eine allgemeine Unterhaltung. Als am gestrigen Nachmittag der Bote König Heinrichs auf Randolfs Gut erschienen war, hatten sie kaum Zeit mit dem Aufbruch verloren. In aller Eile hatten sie etwas Proviant eingepackt und waren am späten Nachmittag losgeritten, denn der unmissverständliche Befehl des Königs lautete, dass Randolf unverzüglich bei ihm erscheinen möge.
    »Mein Vater berichtet ebenfalls von dem immer stärker werdenden Unmut, nicht nur in Teilen der Bevölkerung, sondern vor allem unter den sächsischen Fürsten. Sein Herr versucht seit Wochen deswegen an den König
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