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Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Titel: Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)
Autoren: Julie Klassen
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willst du vielleicht haben.«
    Es kam ihr undankbar vor, das Parfum nicht mitzunehmen, also stopfte sie es in ihr bereits übervolles Handtäschchen und zog die Kordel zu.

    Am ersten Montag im Mai besuchten Emma und ihr Vater Rachel Smallwoods Grab auf dem Friedhof, schauten kurz beim Pfarrer herein, um sich zu verabschieden, und gingen dann zu Tante Jane, um auch von ihr Abschied zu nehmen. Emma stand auf dem kleinen Verbindungsweg zwischen den beiden Häusern, ließ sich von ihrer Tante herzen und erwiderte ihren Wangenkuss mit einem tapferen Lächeln. Während ihr Vater seine Schwester umarmte, drehte Emma sich mit einem letzten entschlossenen Aufschniefen um und folgte dem Jungen, der ihre Koffer mit einem Karren zur Poststation brachte.
    Sie fuhren mit der Kutsche von Longstaple, Devonshire, nach Ebford, Cornwall. Alle zehn bis fünfzehn Meilen wurde haltgemacht,um Zölle zu bezahlen oder die Pferde zu wechseln. Dabei stiegen jedes Mal Passagiere aus oder ein, die sich entweder zu ihnen in die Kutsche zwängten oder oben auf dem Dach Platz nahmen. Wenigstens hatten Emma und ihr Vater Innenplätze auf der anstrengenden Reise, die einen ganzen Tag dauerte.
    Manchmal spürte sie, wie ihr Vater sie ansah. Wenn ihre Blicke sich begegneten, hob er jedes Mal die Brauen zu der unausgesprochenen Frage: Geht es dir gut? Dann zwang Emma sich zu einem beruhigenden Lächeln. Sie teilte seine Begeisterung nicht, doch sie rief sich mit aller Strenge ins Gedächtnis, dass sie schließlich selbst dieses Unternehmen angezettelt hatte. Jetzt war es zu spät für einen Rückzieher.
    Während die Kutsche voranrumpelte, versuchte Emma, die Erinnerungen an Henry Weston zu verscheuchen, doch sie ließen ihr keine Ruhe. Sie beschloss zu lesen, aber in der holpernden Kutsche wurde ihr dabei nur übel. Schließlich presste sie das Exemplar der Female Travellers an ihre Brust und befahl sich, stattdessen an Phillip Weston zu denken. Wie sie und Phillip im Klassenzimmer zusammen Menuett getanzt oder nachts zusammen in den Sternenhimmel hinaufgeblickt hatten. Wie liebevoll Phillip sie getröstet hatte, als ihre Mutter krank geworden war … Doch die Gedanken an seinen übellaunigen Bruder drängten sich immer wieder in den Vordergrund und verfolgten sie während der gesamten, nicht enden wollenden Reise.
    Anfangs, als Henry Weston zu ihnen nach Longstaple gekommen war, war er mürrisch und gereizt gewesen, hatte sich die meiste Zeit auf seinem Zimmer aufgehalten, sie jedes Mal angefahren, wenn sie es gewagt hatte, ihn anzusprechen, und ihr verboten, seine Sachen auch nur zu berühren. Sie hatte rasch gelernt, seine Gesellschaft zu meiden.
    In seinem zweiten Trimester war Henry früh eingetroffen, vor allen anderen Schülern. Diesmal wirkte er weniger zornig, eher resigniert. Da es ihm so ganz allein, ohne die anderen Jungen, rasch langweilig wurde, hatte er sie damals sogar hin und wieder gebeten,mit ihm zu spielen – Fußball, Kricket, Schießen, Jagen … Doch die eher unsportliche Emma hatte diese wilden Aktivitäten entschieden abgelehnt.
    »Karten?«, hatte er schließlich verzweifelt gefragt.
    »Ich verabscheue Karten«, hatte Emma geantwortet.
    »Reiten?«
    »Ich habe kein Pferd, wie du sehr wohl weißt.«
    »Bist du denn zu gar nichts nütze?«, hatte er schließlich frustriert gestöhnt.
    So gern sie die Beleidigung ebenfalls mit einer Beleidigung erwidert hätte, hatte sie sich eine zornige Antwort verbissen und in aller Ruhe geantwortet, dass sie gern eine Runde Schach mit ihm spielen würde, wenn er wolle.
    Henry hatte zögernd zugestimmt. Sie merkte rasch, dass sie beide etwa gleich gute Spieler waren, und war so klug, ihn gewinnen zu lassen. Danach war Schach das einzige Spiel, zu dem er sie weiterhin aufforderte.
    Als dann die anderen Jungen eintrafen, wurde Henry wieder so mürrisch wie früher und fing darüber hinaus an, sie bei jeder Gelegenheit zu piesacken. Als er herausfand, wie viel sie las, hänselte er sie mit dunklen Prophezeiungen wie: »Jungen mögen keine büchernärrischen Blaustrümpfe. Du wirst als alte Jungfer enden, wenn du nicht aufpasst.«
    Und dann hatten die Streiche angefangen …
    Nein, Emma freute sich wahrlich nicht darauf, Henry Weston wiederzusehen! Wenn doch nur Phillip statt seiner anwesend wäre! Sie seufzte und tröstete sich mit der Tatsache, dass es sehr unwahrscheinlich war, dass der aufgeblasene Henry Weston die Gesellschaft der Lehrertochter suchte, die er früher verabscheut hatte.

    Am
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