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Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Titel: Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)
Autoren: Julie Klassen
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Abend erreichten sie das Dorf Ebford, doch es war niemand da, um sie abzuholen. Die Wache und der Pferdeknecht setzten ihreKoffer vor der Poststation ab, Stallburschen führten die müden Pferde nach hinten in den Stall. Anscheinend war Ebford die Endstation, zumindest für heute.
    Emma und ihr Vater betraten zögerlich die Herberge. In dem dämmrigen, nur schwach erleuchteten Raum schlugen ihnen die Gespräche der Gäste – ausschließlich in grobes Tuch gekleidete Männer –, Pfeifen- und Torfrauch und der Geruch nach Bier und Fisch entgegen.
    »Warte hier«, flüsterte ihr Vater ihr zu. Emma blieb neben der Tür stehen, während er zum Wirt ging.
    Die Männer in der Gaststube sahen ihm misstrauisch nach. Emma blickte sich nervös um, sah aber keine Spur von Sir Giles oder irgendjemandem, der gut genug gekleidet war, um für ihn zu arbeiten.
    Ihr Vater fragte den Wirt, ob jemand aus Ebbington Manor da gewesen sei.
    Der Mann – er hatte eine große Zahnlücke – schüttelte seinen kahlen Kopf und sagte: »Nee. Woll'n Se jetz 'n Bier oder nich?«
    »Nein, danke, guter Mann, ich hatte nur diese eine Frage.«
    Der Mann starrte John Smallwood einen Moment an, widmete sich dann wieder dem Krug, den er in der Hand hielt, und fuhr fort, ihn aus Leibeskräften zu wienern.
    Ihr Vater gab auf und kam zu ihr zurück. Zusammen traten sie hinaus.
    Emma blickte die gepflasterte Straße auf und ab. Das kleine Dorf war in einem Halbkreis um den Hafen herumgebaut. Auf beiden Seiten der Bucht erhoben sich steile Klippen.
    Ihr Vater fragte: »Du hast Sir Giles doch geschrieben und ihm unsere Ankunft mitgeteilt, oder nicht?«
    »Ja. Vielleicht hat er es vergessen. Oder es ist ihm etwas Wichtiges dazwischengekommen.«
    Er schüttelte frustriert den Kopf. »Sir Giles ist viel zu rücksichtsvoll, er würde uns niemals wissentlich so sitzen lassen. Wahrscheinlich ging der Brief verloren oder der Kutscher, den er uns geschickt hat, hat Verspätung.«
    Emma hoffte, dass ihr Vater recht hatte.
    Sie warteten eine weitere Viertelstunde, dann gaben sie auf und mieteten einen jungen Burschen mit einem Eselkarren, der sie und ihre Koffer nach Ebbington Manor bringen sollte.
    »Zu dem großen Haus woll'n Se?«, fragte der junge Mann mit aufregend fremdem Akzent.
    »Ja«, antwortete Emma. »Weißt du, wo das ist?«
    »'türlich. Jeder hier kennt Ebb'ton.« Er deutete auf die Klippe auf der anderen Seite des Hafens. Dort leuchtete ein rotgoldenes Herrenhaus im Abendlicht.
    Der kräftige Junge half ihr auf den Karren. Ihr Vater kletterte neben ihr hinauf und der junge Mann trieb seinen Esel an. Sie verließen das Dorf, überquerten eine Brücke über einen Fluss und holperten eine steile Straße hinauf. Je höher sie kamen, desto stärker wurde der Wind und die Temperatur fiel merklich. Emma vergrub sich tiefer in ihrem Mantel. Irgendwann machte der Weg eine scharfe Biegung, danach stieg er weiter an.
    Das kleine Dorf und die im Hafen vertäuten Boote schienen zu schrumpfen. Der Esel schleppte sich, angetrieben von dem jungen Mann, weiter bergauf, bis sie schließlich oben auf dem Kamm angekommen waren und der Weg sich zu einer grasbewachsenen Landzunge verbreiterte.
    Nun kam auch wieder das imposante Gebäude in Sicht, mit seinen unterschiedlich hohen Dachlinien, gekrönt von festungsähnlichen Kaminen, errichtet, um den heftigen Sturmwinden der Gegend zu trotzen.
    Der Weg vor dem Haus mündete in eine zweigeteilte Auffahrt.
    »Vorder- oder Hintereingang?«, fragte ihr Fahrer.
    »Oh …« Emma zögerte und dachte daran, dass ihr Status auf Ebbington Manor nur wenig höher als der der Dienerschaft sein würde. Aber wie viel höher?
    »Zum Vordereingang natürlich«, antwortete ihr Vater und hob das Kinn. »Ich bin ein alter Freund von Sir Giles und der Familie Weston.«
    Der junge Mann zuckte die Achseln. Er schien nicht beeindruckt, lenkte den Esel aber zur Vordertür des Hauses.
    Emma stöhnte innerlich auf beim Gedanken an das Bild, das sie abgaben – sie fuhren am Vordereingang vor, aber nicht in einer schönen Kutsche, sondern auf einem Eselkarren! Sie fragte sich, welcher höhnische Kommentar Henry Weston wohl dazu einfallen würde.
    »Vielleicht hätten wir doch zur Hintertür fahren sollen, Papa«, flüsterte sie. »Mit unseren Koffern und allem.«
    »Unsinn.«
    Jetzt, da sie näher waren, konnte Emma auch die Einzelheiten des Hauses erkennen. Der Steinbau hatte im Zwielicht eine sanfte, rosa-graue Tönung angenommen. Der eine Trakt war
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