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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin
Autoren: Ursula Niehaus
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Hände, dann ergriff ein rechter Jubel die Versammelten, und zwei weitere Seidenkaufleute traten vor.
    Johann Liblar musste seine Stimme heben, um sich Gehör zu verschaffen. »Ich sehe, wir haben zur Einigkeit gefunden!«, rief er. »Vielleicht sollten wir alle daher unseren Eid, den wir auf das Amt geschworen haben, erneuern.«
    Seine Worte wurden mit lautstarker Zustimmung bedacht, und Lisbeth traten Tränen in die Augen. Sie hatte es geschafft! Endlich! Endlich würde das Seidamt wieder zu der angesehenen und ehrbaren Zunft werden, die es einst gewesen war, dachte sie glücklich und griff verstohlen nach Mertyns Hand.
    Es dauerte eine gute Weile, bis die notwendige Ruhe im Saal eingekehrt war. Dann sprachen alle, Seidmacherinnen wie Seidenhändler, in feierlichem Ernst die Hände zum Schwur erhoben, die Eidesformel und gelobten ehrfürchtig, die Anordnungen des Amtsbriefes in all seinen Punkten stets treulich zu befolgen, so wahr ihnen Gott und sein Heiliges Evangelium helfe.
    »Jetzt ist es wohl an der Zeit, dass wir neue Amtsmeister wählen, die die Geschicke der Zunft im kommenden Jahr lenken«, ergriff Liblar wieder das Wort, kaum dass die letzten Worte der Eidesformel verklungen waren. »Ich glaube, jeder von Euch wird mir zustimmen, wenn ich vorschlage, Lisbeth Ime Hofe zur Zunftmeisterin zu wählen. Diese Ehre gebührt ihr schon allein dafür, dass sie uns heute hier zusammengeführt hat, und ich bin sicher, sie wird dieser Aufgabe auf das Beste gerecht werden!«
    Mit diesen Worten schien der alte Seidenhändler seinen Amtskollegen aus dem Herzen gesprochen zu haben, denn mit Beifall bekundeten sie laut ihr Einvernehmen.
    Lisbeth stieg erneut die Röte ins Gesicht, diesmal vor Freude. »Gerne will ich dieses Amt übernehmen, und ich verspreche, stets getreulich im Sinne aller Zunftgenossen zu handeln«, sagte sie, bemüht, ihre Rührung zu verbergen. »Ihr könnt sicher sein, dass ich alles in meiner Macht Stehende unternehmen werde, damit die Seidmacherzunft wieder zu dem wird, was sie einst war!«
    Liblar nickte zufrieden. »Gibt es Vorschläge für die anderen Amtsmeister?«
    »Erlaubt mir eine Bitte«, meldete Lisbeth sich erneut zu Wort. »Ich würde mich freuen, wenn Clairgin van Breit… äh, Clairgin van Bensberg das Amt mit mir teilt.«
    Aufgeregtes Getuschel erhob sich, und die Seidmacherinnen wandten die Köpfe auf der Suche nach Frau van Bensberg. Von der stillen Clairgin hatte man in den vergangenen Jahren wenig gehört. War sie denn überhaupt noch Seidmacherin?
    Mit wenigen Schritten überquerte Lisbeth den freien Raum in der Mitte des Saales und trat zu Clairgin, die mit Rudolf nahe dem Kamin stand.
    Die Aufmerksamkeit, die Clairgin plötzlich zuteilwurde, war ihr sichtlich unangenehm. Verlegen rang sie die Hände.
    Lisbeth fasste Clairgin am Arm, um sie nach vorn zu führen, doch diese wich vor ihr zurück. »Ich bin doch keine Seidmacherin mehr«, flüsterte sie abwehrend.
    »Das bist du wohl. Und eine der besten dazu!«
    »Nein, ich webe nicht mehr, und ich habe auch keine eigene Werkstatt!« Clairgin sträubte sich immer noch.
    »Die Elnersche Werkstatt steht zu vermieten«, wisperte Lisbeth. »Sie ist zwar nicht sehr schön, doch für den Anfang wird es reichen.«
    »Ich kann mir keine Werkstatt leisten«, widersprach Clairgin.
    Deutlich vernahm Lisbeth den Schmerz in ihrer Stimme. »Der Mietzins ist niedrig«, widersprach sie. »Der Vetter vom alten Johann Elner, der das Haus geerbt hat, ist froh, wenn er es überhaupt loswird.«
    »Auch dann nicht«, beharrte Clairgin, doch Lisbeth spürte ihr Zögern.
    »Für den Anfang stunde ich dir die Rohseide. Und du hast ja gehört, was die Seidenhändler gesagt haben. Sie geben die Rohseide in kleinen Mengen ab. Es wird alles anders«, versprach sie. »Es wird werden wie früher. Du wirst sehen!« Und nach einer winzigen Pause fügte sie hinzu: »Ich habe in der Elnerschen Werkstatt schon einmal Ordnung geschafft. Es ist alles bereit. Wenn du willst, kannst du gleich morgen anfangen.«
    Erstaunt blickte Clairgin Lisbeth an. »Du hast …? Aber wieso«, stammelte sie, und ihre hellblauen Augen schwammen mit einem Mal in Tränen.
    »Es ist mein Hochzeitsgeschenk an dich. Ich war mir sicher, dass es dein größter Wunsch war.« Lisbeth lächelte.
    Das Erstaunen wich von Clairgins Zügen und machte einem wehmütigen Lächeln Platz. Lisbeth hatte recht. Zwar hatte sie die Arbeit im Goldenen Krützchen gern verrichtet, doch es war wirklich
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