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Die Tochter der Seidenweberin

Die Tochter der Seidenweberin

Titel: Die Tochter der Seidenweberin
Autoren: Ursula Niehaus
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genießt, schützen.«
    Lisbeth unterbrach sich und ließ ihren Blick durch den Saal schweifen, um herauszufinden, ob ihre Zunftgenossen ihren Argumenten folgten. Viele von ihnen, vor allem die Seidenhändler, nickten ihre Zustimmung.
    »Unter uns sind viele gute Seidmacherinnen.« Lisbeth holte tief Luft und richtete ihren Blick auf Ida Rummels, Liese Backes und Gundula von Bruwiler. »Doch einige von ihnen mussten in den vergangenen Jahren ihre Eigenständigkeit aufgeben und für andere im Verlag weben, weil sie sich die Rohseide nicht mehr leisten können.«
    Die angesprochenen Weberinnen blickten verschämt zu Boden, und Lisbeth sah, wie Liese Backes die Lippen zusammenpresste. Es war nicht ihre Absicht gewesen, die Frauen vor dem versammelten Seidamt zu demütigen, deshalb beeilte sie sich, fortzufahren: »Es kann nicht in unserem Sinne sein, dass einige wenige aus der Armut der anderen ihren Profit ziehen. Der Verlag ist seit langem verboten, und wenn sich alle daran halten würden …«
    Lisbeth blickte geradewegs jene erfolgreichen Seidmacherinnen an, die sich einst um Brigitta van Berchem geschart hatten. Sie alle betätigten sich als Verlegerinnen. Wie ehedem standen Mechthild van der Sar, Mettel van Hielden, Veronika van Herten, Frieda und Dora Medman und Genovefa van Wychtericht beisammen und flüsterten miteinander, aber sie benahmen sich nicht mehr so anmaßend wie früher. Der Schlange schien der Kopf zu fehlen, dachte Lisbeth.
    »Warum sollten wir auf diese Einnahmequelle verzichten?«, schnappte Mechthild van der Sar und reckte ihren dürren Hals.
    Lisbeth zwang sich zur Ruhe. Sie hatte mit diesem Einwand gerechnet. »Vielleicht, weil der Rat jetzt genauer auf die Einhaltung der Gesetze achten wird?«, entgegnete sie. »Meint Ihr nicht, dass es besser ist, wir selbst kümmern uns darum, bevor es der Rat tut?«
    »Wenn wir die armen Wichter nicht zum Weben anstellen, dann verhungern sie doch glatt!«, rief Frieda Medman. Ihr voluminöses Kinn schaukelte vor Selbstgerechtigkeit.
    Lisbeth überging Friedas Einwurf. »Jeder von uns verdient mehr Geld, als er zum Leben benötigt. Wir sollten dafür sorgen, dass auch die weniger Begüterten unter uns ihr Auskommen haben«, redete sie ihren wohlhabenden Amtsgenossen ins Gewissen. »Und wenn Ihr es schon nicht aus Nächstenliebe wollt, so denkt daran, dass eine starke Zunft auch Euch nützt.«
    Mechthild rümpfte missbilligend die lange Nase, und Frieda schüttelte pikiert den Kopf. Doch Lisbeth sah, dass Mettel van Hielden fragend zu Veronika van Herten blickte, und die alte Genovefa van Wychtericht legte abwägend das Haupt schief.
    »Von der Mutter meines Mannes habe ich Geld geerbt. Ich werde es in ihrem Sinne verwenden und es damit einigen weniger begüterten Seidmacherinnen ermöglichen, wieder ihre eigene Seide zu verweben«, erhob Lisbeth erneut die Stimme. »Ich werde ihnen die Rohseide stunden, bis sie ihre fertigen Tuche verkauft haben.«
    Beifälliges Gemurmel erhob sich im Saal. Viele Mitglieder des Seidamtes erinnerten sich voll Wärme der Frau Zur Roten Tür.
    Doch Lisbeth war noch nicht am Ende ihrer Rede. »Mein Gemahl, der, wie Ihr wisst, große Mengen Rohseide importiert, wird diese künftig auch in kleinen Mengen verkaufen, ohne dafür einen Aufschlag zu verlangen. Und nun bitte ich Euch« – nacheinander fasste Lisbeth die Herren Seidenhändler ins Auge –, »es ihm gleichzutun!«
    Für einen Moment herrschte Stille im Saal. Dann trat Johann Liblar vor. »Ich schließe mich der Entscheidung von Mertyn Ime Hofe an!«, sagte er fest und lächelte Lisbeth zu.
    Sein Sohn Heinrich trat neben ihn. »Ich auch.«
    Es verstrich ein Moment, in dem alle die Hälse reckten, um zu schauen, ob sich ein weiterer Seidenhändler zu ihnen gesellen würde. Dann trat, auf den Arm seiner Frau gestützt, Conrad Loubach vor, einen Wimpernschlag darauf der alte Heinrich Vurberg.
    Dres van der Sar schickte sich an, es ihnen gleichzutun, doch seine Gattin hielt ihn am Ärmel zurück. So laut, dass es jeder im Saal vernehmen konnte, zischte sie: »Das wirst du nicht tun!«
    Energisch entwand Dres sich ihrem Griff und trat vor. »Ihr habt recht, Frau Ime Hofe«, sagte er, die giftigen Blicke ignorierend, die seine Frau ihm zuwarf, »die Zunft kann nur bestehen, wenn sie groß und stark ist. Und wir können uns nur gegen den Rat behaupten, wenn wir selbst auf Ordnung innerhalb der Zunft achten.«
    Beifallrufe wurden laut, vereinzelt klatschten die Frauen in die
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