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Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin
Autoren: Kathleen Kent
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in ihre Ecke der Zelle zurück. Ich gab Margaret die antike Tonscherbe, die ich so viele Wochen in meinem Mieder mit mir herumgetragen hatte, mit den Worten, nun würde sie immer eine Erinnerung an mich haben, falls ich sterben sollte. So lange hatte ich das Stück Keramik nun an meinem Brustbein gespürt, dass sein Fehlen sich anfühlte, als hätte ich ihr ein Stück meiner Rippe geschenkt. Sie freute sich sehr darüber, betrachtete die Scherbe und drehte sie immer wieder in der Hand hin und her. Als ich ihr das Stickbild zeigte, das ich stets nah am Herzen getragen hatte, weinte sie, trocknete ihre Tränen damit und steckte es dann zurück an seinen Platz.
    Schließlich war ich wieder kräftig genug, um Fragen zu stellen, woraufhin Tom mir erklärte, was sich während meiner Krankheit wirklich zugetragen und was ich mir nur eingebildet hatte. Einige Frauen in der Zelle hatten mich anfangs tatsächlich abwechselnd gepflegt, jedoch zumeist aufgegeben, als das Fieber auch nach einigen Tagen nicht sinken wollte. Lydia Dustin, die alte Frau mit der scharfen Zunge, hatte als Einzige weiter Wache gehalten, während Tom und Margaret schliefen. Es waren tatsächlich zwei Hunde gehängt worden, einer in Salem und einer in Andover, und zwar deshalb, weil sie angeblich Familiare des Teufels gewesen seien. Eine der Gefangenen, eine junge Frau, die im siebten Monat schwanger gewesen war, hatte in stillem Schmerz ihr erstes Kind zur Welt gebracht. Da wusste ich plötzlich, dass das Miauen, das ich gehört hatte, die Schreie des Neugeborenen gewesen sein mussten. Allerdings war das Kind rasch gestorben, und die Mutter, die beinahe ihr Lebensblut im Stroh vergossen hatte, würde wohl nie mehr eines bekommen können.
    Verzweifelt erinnerte ich Tom an die Botschaft, die ich Vater von Dr. Ames hätte ausrichten sollen und im Fieberwahn erneut vergessen hatte. Aber Tom beruhigte mich, er habe sie bereits wortwörtlich weitergegeben. Als ich mich erkundigte, was sie zu bedeuten hatte, erwiderte er, Vater habe ihm erklärt, Dr. Ames und seine Freunde seien »New Levellers«. Auf Toms Frage, was diese Leute denn wollten, habe Vater nur erwidert, sie glaubten daran, dass jeder das gleiche Recht auf den Schutz des Gesetzes habe. Außerdem sei der Mensch in religiösen Dingen einzig und allein seinem Gewissen verantwortlich. Mir fiel der Quäker in der Scheune des Onkels ein, der Mann, den Margaret als Ketzer bezeichnet hatte, weil er eben diese Auffassung vertrat, und ich überlegte, ob Dr. Ames vielleicht ein heimlicher Quäker war.
    Als der kalte Herbst anbrach, stieg mein Fieber wieder, und wir drängten uns wärmesuchend aneinander. In wenigen Wochen würde das Grundwasser gefrieren. Der erste Schnee würde über die hohen nach Westen weisenden Tore wehen, unser Haar mit einer weißen Schicht überziehen und unsere Umschlagtücher steif wie Pergament werden lassen. Margaret lag stundenlang neben mir und redete wirres Zeug über die Gerichtsverhandlung und ihr Zuhause in Billerica, als sei sie in diesem Augenblick dort. Manchmal verteidigte sie sich vor unsichtbaren Richtern und war anschließend niedergeschlagen und mutlos, als hätte sie sich das Fieber von mir eingefangen und sei deshalb nicht ganz bei Kräften. Doch sie behandelte mich stets liebevoll, wusch mir das Gesicht, nötigte mir Brühe auf, wenn es welche gab, oder pflückte mir im Dämmerlicht die Läuse, die mich so plagten, von der Kopfhaut.
    Bei Sonnenuntergang ist der Selbstschutz des Körpers häufig am schwächsten ausgeprägt. Das Fieber steigt, die Schwangere macht sich auf die Geburt gefasst, und das Gemüt verdüstert sich mit der Dunkelheit und verliert an Widerstandskraft. Auch ich wurde zu so einer Stunde von Schuldgefühlen überwältigt, sodass ich Margaret meine Sünden beichtete.
    »Ich habe meine Mutter umgebracht«, schluchzte ich und schlug bedrückt die Hände vors Gesicht. Sie hielt meinen Kopf, wiegte mich und strich mir das Haar aus der Stirn.
    Dann beugte sie sich lächelnd vor, um mir etwas ins Ohr zu flüstern.
    »Soll ich dir ein Geheimnis anvertrauen?«, raunte sie. Ich nickte, denn ich erinnerte mich an die Geschichten, die wir einander während meiner Zeit bei ihrer Familie erzählt hatten, und erwartete, dass sie über etwas Angenehmes sprechen würde, um mich abzulenken.
    »Dann musst du aber aufhören zu weinen. Ich habe sie erst gestern gesehen, und es geht ihr gut.« Margaret wies mit dem Kopf in eine Ecke der Zelle.
    Mein Mund wurde
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