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Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin
Autoren: Kathleen Kent
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meine Gedanken benommen abschweiften, doch als der Arzt weitersprach, hatte seine Stimme etwas Drängendes, sodass ich aufmerksam die Ohren spitzte.
    »Mir ist nicht klar, wie viel du über deinen Vater weißt, Sarah. Damit meine ich seine Vergangenheit, bevor er nach Neuengland gekommen ist. Möglicherweise bist du nicht eingeweiht, und deshalb ist es nicht meine Angelegenheit, dir von Dingen zu erzählen, die …« Er hielt inne und legte sich seine Worte sorgfältig zurecht. »Dein Vater war Soldat und hat lange und tapfer an der Seite Cromwells gekämpft. Viele Männer hier sind stolz darauf, für Cromwell und sein Parlament in den Krieg gezogen zu sein, und dennoch müssen sie es für sich behalten. Bevor dein Vater für das Parlament gefochten hat, war er Soldat der Krone und unterstützte, so wie seine ganze Familie, den König. Im Laufe der Zeit jedoch gelangte er wie viele große Männer damals zu der Überzeugung, dass hauptsächlich der König schuld am Leid der Bevölkerung war. Die Tyrannei der ungerechten Gesetze, die der König erließ, die Steuern, die religiöse Intoleranz …«
    Inzwischen hatte ich die Augen aufgeschlagen. Dr. Ames hielt inne und lächelte, als er meinen kindlich-verständnislosen Blick bemerkte.
    »Du hast offenbar keine Ahnung, wovon ich rede«, meinte er und drückte meine Hand. Ich schüttelte den Kopf. »Dann will ich nur noch hinzufügen, dass dein Vater einer der tapfersten Männer ist, die ich kenne«, fuhr er fort. »Auf seinen Schultern ruht die schwere Last seiner Überzeugungen und der Verluste, die er erlitten hat. Ein schwächerer Mann wäre wohl daran zerbrochen. Glaubst du wirklich, er hätte sich von einer Horde irregeleiteter Mädchen daran hindern lassen, seine Pflicht gegenüber seiner Frau zu erfüllen?«
    »Das kann ich nicht sagen«, erwiderte ich leise. »Jedenfalls hat er meine Mutter nicht gerettet.«
    Kurz ließ Dr. Ames den Kopf sinken. »Es ist leichter, einen König mit einem Schwert zu töten, als ein Land zu befrieden, das von abergläubischen Ängsten beherrscht wird«, antwortete er. »Wenn er sie befreit hätte, Sarah, hätte er dich und deine Brüder damit in große Gefahr gebracht.«
    Als ich schwieg, stand er auf und verstaute Gerätschaften und Ampullen in seiner Tasche. »Wir werden nicht ruhen, bis er euch wieder nach Hause holen kann«, meinte er zum Abschied.
    Da fiel mir zu meinem Entsetzen die Nachricht ein, die ich Vater hätte übermitteln sollen, und ich packte Dr. Ames am Ärmel seines schwarzen Mantels. »Ich habe vergessen, ihm Ihre Botschaft auszurichten«, rief ich.
    Dr. Ames tätschelte meine Hand und lockerte meinen 355 Griff um seinen Arm. »Dann tust du es eben, wenn du ihn das nächste Mal siehst«, erwiderte er. »Er muss wissen, dass er sich auf unsere Unterstützung verlassen kann. Jetzt schlaf. Ich besuche euch bald wieder.« Nachdem er Tom aufgefordert hatte, auf mich aufzupassen und darauf zu achten, dass ich von dem mitgebrachten Brot aß, ging er.
    Den restlichen Tag schlief ich tief und fest, und als ich bei Abenddämmerung erwachte, spürte ich eine Enge und ein Kratzen in der Kehle, das sich wie das Kitzeln einer kleinen Motte anfühlte. Wieder schlief ich einige Stunden lang. Beim erneuten Aufwachen brannte mir der Schädel und meine Glieder zitterten vor Kälte. Dem ersten trockenen Husten folgte rasch ein Rasseln, das tief aus meiner Brust aufzusteigen schien. Tom legte mir die Hand auf den Hals und zog sie rasch wieder weg, als hätte er sich verbrannt. Er winkte Goodwife Faulkner heran. Doch als sie sah, dass ich krank war, fuhr sie sofort zurück. »Du musst sie warm halten«, sagte sie nur. »Und bitte deinen Vater, euch Suppe mitzubringen, oder weiche das Brot ein, denn sie darf keine feste Nahrung zu sich nehmen. Kühl ihr die Stirn. Mehr kann man nicht tun.« Mit diesen Worten zog sie ihre Töchter enger an sich. Drei Augenpaare musterten mich eher ängstlich als mitleidig.

    Nun wachte Tom schon zum zweiten Mal im Gefängnis von Salem an einem Krankenlager. In den kalten Nächten deckte er mich mit seinem eigenen Mantel zu und tauschte seine Brotration gegen Brei, Suppe oder Bier, die ich trotz meiner Halsschmerzen hinunterwürgen konnte. Schon wenige Tage später befand ich mich in dem fiebrigen Zustand, in dem die Wirklichkeit zu verschwommenen Fetzen gerinnt, während die Träume sich klar und deutlich ins Gedächtnis eingraben. Es ist eine Welt, die dem Wahnsinn nahe ist, da die Dinge, die man im
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