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Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin
Autoren: Kathleen Kent
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Strohsack sinken. Seine Augen wirkten wie zwei brennende Stück Kohle auf einer Decke. Tom und ich legten uns ebenfalls hin und folgten Andrew ins Traumland. Als ich irgendwann während der Nacht aufwachte, hatte ich das Gefühl, neben einem Herd zu schlafen. In der Dunkelheit streckte ich die Hand aus und tastete nach Andrews Hals. Seine Haut war heiß und trocken wie Papier, und sein Atem roch übel. Ich rückte von ihm weg und näher an Tom heran und schlief rasch wieder ein.
    Bei meinem nächsten Erwachen war es Sabbat. Ich schlug die Decke zurück, denn ich war neugierig auf das Versammlungshaus, wo der Gottesdienst stattfinden sollte. Tom war schon fort. Doch Andrew lag noch auf dem Strohsack und hatte mir den Rücken zugekehrt. Sein Atem klang merkwürdig stockend und flach. Ich rüttelte ihn. Er war ganz heiß, stöhnte leise, rührte sich aber nicht, woraufhin ich ihm sagte, es sei Morgen, sodass er aufstehen und sich fertigmachen müsse. Ich selbst war bereits angezogen und stand an der Treppe, als er sich endlich aufsetzte und sich den Kopf hielt. Sein Gesicht war gerötet, und die dunklen Ringe unter seinen Augen sahen aus wie Blutergüsse. Langsam legte er den Finger an die Lippen. Ich ging rasch hinunter in die Wohnküche, wo es hell war. Sobald wir fertig waren, brachen wir, warm eingepackt, in unserem Karren auf. Großmutter saß vorn, zwischen Mutter und Vater und schilderte uns ausführlich die warmherzige Stimmung, die in der Gemeinde von Andover herrschte. »Ich hoffe, dass es so sein wird«, meinte Mutter nach einer Weile. »Ich war zwar schon seit einer Weile nicht mehr hier, weiß aber noch sehr gut, dass man in dieser Stadt nur wenig Wärme findet.«
    »Martha, immer musst du dich mit deinem Gerede wichtigmachen«, rügte Großmutter streng. »Du gefährdest deine Seele und die Seelen deiner Kinder. Immerhin bist du mit deiner Familie hierhergekommen, um in meinem Haus zu wohnen. Also werdet ihr euch auch an meine Regeln halten. Der Sabbat ist der Tag des Gebets, und deshalb werden wir heute beten.«
    Ich warf einen verstohlenen Blick auf den starren Rücken meiner Mutter. Noch nie hatte ich erlebt, dass ihr jemand so über den Mund gefahren wäre, ohne sich eine heftige Retourkutsche einzuhandeln. Vater hustete in seine Faust, schwieg aber. Das Versammlungshaus war größer, als ich es mir vorgestellt hatte. Und während wir das Pferd festbanden, sahen wir, wie die Einwohner der ganzen Stadt durch die Eingangstüren ins Gebäude strömten. Viele Gesichter wandten sich uns zu, einige neugierig, andere in offener Feindseligkeit. Vor der Tür stand eine alte Frau, die mit beiden Händen eine riesige Messingglocke schwenkte. Großmutter nickte ihr zu und erklärte mir, das sei die Witwe Rebecca Johnson, die mit ihrem Läuten den Beginn des Gottesdienstes ankündigte. Früher habe die Stadt einen Mann damit beauftragt, am Anfang des Gottesdienstes und am Ende der täglichen Arbeit auf den Feldern die Trommel zu schlagen.
    Die Sitzordnung beim Gottesdienst war streng festgelegt und spiegelte die gesellschaftliche Stellung des betreffenden Gemeindemitglieds wider. Die wohlhabendsten und angesehensten Familien thronten ganz vorn an der Kanzel, und so setzte sich die Rangfolge weiter fort bis in die letzten Reihen, die den im Leben weniger Erfolgreichen und den Neuankömmlingen vorbehalten waren. Großmutter hatte einen Ehrenplatz auf der Frauenseite, und nach einigem Gedrängel und missbilligendem Köpfeschütteln durften auch Mutter, Hannah und ich dort Platz nehmen. Vater und Richard saßen uns gegenüber bei den Männern, Andrew und Tom über uns auf der Empore. Wenn ich mich umdrehte, konnte ich sie gut sehen. Tom schaute sich aufmerksam um, Andrew hatte den Kopf in die Hände gestützt. Ich wollte Tom schon zuwinken, aber Mutter hielt mir die Hand fest und drückte sie mir auf den Schoß. Da die Bänke dicht hintereinanderstanden, fragte ich mich, wie Vater wohl Platz für seine langen Beine finden und es den ganzen Gottesdienst lang in dieser Körperhaltung ertragen würde. Drinnen im Gebäude war es genauso kalt wie draußen. Wie gut, dass die vielen Menschen einander in der drangvollen Enge wärmten. Ständig strich kalte Zugluft um meine Beine, und ich weiß nicht, was mir während der endlosen Stunde auf der harten Bank am meisten wehtat - das Hinterteil oder die Füße. Alle seufzten im Chor auf, als Reverend Dane an den Sitzreihen vorbei nach vorn rauschte. Er schien sich regelrecht auf
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