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Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin
Autoren: Kathleen Kent
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unter den Bratspieß zu zwängen, und starrte in die Flammen. Schweiß lief ihm übers Gesicht, und er rang die Hände, als wolle er Bienenwachs kneten. Kurz darauf wurden Tom und ich zu Bett geschickt, aber wir konnten beide nicht schlafen. Irgendwann nachts hörte ich Andrew aufschreien, als hätte er Schmerzen. Rasch schlich ich die Treppe hinunter und sah, dass er, von hinten erleuchtet vom Schein des heruntergebrannten Feuers, mit ausgebreiteten Armen mitten im Raum stand. Er hatte sich eingenässt und schien verwirrt und nicht ganz bei Sinnen zu sein. Mutter versuchte, ihn wieder ins Bett zu bugsieren, doch er wehrte sich wie ein Ertrinkender. Rasch trat ich ein, nahm einen Lappen und wollte Andrews Pfütze wegwischen. Aber Großmutter packte mich am Arm und zog mich grob fort.
    »Sarah, du darfst jetzt nichts mehr von Andrew anfassen«, warnte sie. Dann lockerte sie ihren Griff und streichelte mir das Gesicht. »Wenn du ihn berührst, könntest du auch krank werden.« Sie schob mich zu einem Stuhl am Feuer und legte mir ihr Umschlagtuch um die Schultern. Dann wickelte sie den Lappen um einen Besenstiel und putzte die trübe Flüssigkeit auf dem Boden weg. Nachdem ich die dunklen Schatten der beiden Frauen, die sich über die rastlose Gestalt meines Bruders beugten, eine Weile beobachtet hatte, schlief ich ein.
    Ich wachte auf, weil ich Vaters Stimme hörte. Es war früher Morgen, und ich konnte trotz des schlechten Lichts die besorgte Miene meiner Mutter erkennen. Da die beiden sich leise, aber eindringlich unterhielten, hörten sie nicht, wie ich auf kalten, nackten Füßen zum Bett meines Bruders schlich. Ich stellte fest, dass sich die Bettdecke von seinen Atemzügen leicht bewegte. Als ich mich vorbeugte, um ihn eingehender zu betrachten, erkannte ich auf seinem Gesicht und Hals die leicht erhabenen Pusteln der Seuche. Sie waren rosig oder dunkelrot, eigentlich eine hübsche Farbe, wenn sie bei einer Rose oder Nelke auftritt. Ich machte erst zwei, dann drei Schritte rückwärts. Das Pochen meines rasenden Pulses klang wie das Trommeln berittener Husaren. Säbel sausten blitzend durch die Luft und trennten unsere Köpfe von den Körpern. Viel zu oft hörte man Geschichten von Familien, die morgens bei bester Gesundheit erwachten und abends, von schwärenden Blasen bedeckt, tot am Boden lagen. Als Andrew plötzlich hustete, lüpfte ich erschrocken mein Nachthemd und wandte mich voller Angst ab. Auch die Scham über meinen Ekel vor seiner Krankheit konnte mich nicht halten, und ich rannte hinauf auf den sicheren Dachboden, so schnell mich die Beine trugen.
    Obwohl es uns eine Stange Geld kosten würde, bestand Großmutter darauf, den einzigen Arzt von Andover zu holen. Richard ging sofort los. Erst vier Stunden später kehrte er mit dem Arzt zurück, der einen Sicherheitsabstand zu Andrew hielt und darauf achtete, nichts im Raum zu berühren. Nachdem er meinen Bruder einer raschen Musterung unterzogen hatte, ergriff er hastig die Flucht durch die Vordertür. Der Schrei meiner Mutter - »Sie sind auch nicht besser als ein Barbier!« - folgte ihm auf die Straße hinaus. Während er aufs Pferd stieg, teilte er Vater mit, er werde Meldung machen, unsere Familie unter Quarantäne stellen lassen und den Wachtmeister damit beauftragen, die Quarantäneanordnung unseren Nachbarn vorzulesen. Mit diesen Worten stieß er seinem Pferd die Fersen in die Flanken und machte sich aus dem Staub. Großmutter ließ Richard nicht mehr ins Haus, sondern schickte ihn sicherheitshalber zur Witwe Johnson. Da er in der Scheune geschlafen hatte, bestand die Chance, dass er nicht angesteckt worden war. Er kehrte an diesem Tag nicht mehr zurück, und wir wähnten ihn in der Obhut einer wohltätigen Christin.
    Dann schrieb Großmutter einen Brief, rief mich zu sich und nahm meine Hände. »Dein Vater bringt dich und Hannah zu eurer Tante Mary nach Billerica«, sagte sie. »Ihr werdet dort bleiben … vielleicht für eine ganze Weile.« Offenbar merkte man mir das Entsetzen an, denn sie fügte rasch hinzu: »Du wirst dich mit deiner Cousine Margaret gut verstehen. Außerdem musst du ja Hannah versorgen.« Ich hatte meine Cousine, die am nördlichsten Zipfel von Billerica wohnte, schon seit Jahren nicht gesehen. In meiner Erinnerung war sie ein seltsames, düsteres Kind, das manchmal mit einer leeren Zimmerecke sprach.
    »Darf Tom nicht auch mitkommen?«, fragte ich. Meine Mutter antwortete an Großmutters Stelle.
    »Nein, Sarah. Wir
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