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Die Time Catcher

Die Time Catcher

Titel: Die Time Catcher
Autoren: Richard Ungar
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Mario, »i ch muss mal wieder ein paar Kinder einsammeln, mit der Zeitgondel. Willst du nicht mitkommen?«
    Er weiß genau, wie sehr mir diese Sache zu schaffen macht, denn »K inder einsammeln« heißt nichts anderes als sie entführen. Onkels neuestes Projekt besteht nämlich darin, obdachlose Kinder zu entführen und zu Time Catchern zu machen. Da der Chip unter dem Handgelenk nur seinen Träger durch Zeit und Raum transportieren kann, muss Mario hierzu die Zeitgondel benutzen – eine Zeitreisemaschine, die von außen einer Blechtonne gleicht, in ihrem Innern jedoch bis zu vier Personen transportieren kann.
    Onkel hat die Vision, eines Tages hundert Kinder für sich arbeiten zu lassen. Sie sollen ihm wertvolle Gegenstände aus verschiedensten Jahrhunderten beschaffen, damit er die steigende Nachfrage nach Erinnerungsstücken aus vergangenen Zeiten befriedigen kann. Er sagt, er tue den Kindern, die andernfalls auf der Straße zugrunde gehen würden, einen Gefallen, aber das nehme ich ihm nicht ab. Dass es sich um Straßenkinder handelt, heißt ja nicht, dass sie für ihn Freiwild sind.
    Abbie zufolge hat er bereits siebzehn Neulinge »e ingesammelt«, von denen die meisten vier, fünf Jahre alt sind. Eigentlich sollte man glauben, dass es bei uns ständig Fluchtversuche gibt, doch in Wahrheit kommen die nur sehr selten vor. Wenn Onkel sich den Neuen gegenüber auch nur einigermaßen so verhält, wie er es früher getan hat, dann sind sie vermutlich voller Bewunderung ihm gegenüber.
    Uns altgediente Time Catcher hält schon die Angst vor einer Bestrafung davon ab, das Weite zu suchen.
    Und diese Angst ist keine Paranoia, sondern die natürliche Folge dessen, was wir selbst miterlebt haben. Die Drohung Gedächtnisverlust schwebt über jedem von uns.
    Denn alle Erfahrungen, die jemand gemacht hat, können in einer einzigen Sekunde gelöscht werden. Das ist Onkels brutalste ultimative Waffe, und ich zweifle nicht daran, dass er sie jederzeit wieder einsetzen würde, wie er es auch bei Vlad getan hat, der im Marokko des dreizehnten Jahrhunderts versuchte, sich abzusetzen.
    Soviel ich gehört habe, hatte sich auf Onkels Befehl hin dessen damaliger Assistent an Vlads Fersen geheftet. Er fand ihn und löste ein paar Gedächtnisverlustpillen in einem Krug Wasser auf. Als Vlad davon trank, wurden all seine Erinnerungen sofort gelöscht. Doch damit nicht genug. Er wurde zu Edles für die Ewigkeit zurückgebracht und man pflanzte ihm neue, falsche Erinnerungen anstelle der alten ein. Das war vermutlich auch der Grund, warum Onkel ihn nicht sogleich getötet hat. Warum sollte man einen bestens ausgebildeten Zeitdieb aus dem Weg schaffen, wenn man ihn auch umprogrammieren kann? Armer alter Vlad. Zwei Wochen später starb er auf einer Mission im spanischen Pamplona im Jahr 1983 – aufgespießt von einem Stier.
    »I ch hoffe, die beißen nicht, so wie der Junge letzte Woche«, sagt Mario so gefühllos, als spräche er über das Wetter. »W ar wohl ein bisschen ungeschickt von mir. Ich wollte ihm nur Manieren beibringen, doch Onkel mag es nicht, wenn sie hier ganz ohne Zähne auftauchen. Was ist, Caleb? Kommst du mit, das wär doch ein Spaß.«
    Ich schüttele den Kopf und habe das Gefühl, vor Wut fast zu explodieren. Auf Nassim habe ich lange genug gewartet. Ich stehe auf und eile in Richtung Tür.
    Mario tritt rasch zur Seite und versperrt mir den Weg. Obwohl wir beide dreizehn Jahre alt sind, ist er einen halben Kopf größer als ich, was er in diesem Moment voll ausspielt.
    Nassim erscheint in der Tür. »D er Bericht ist fertig, Caleb, du kannst jetzt gehen. Bitte nimm deine Garderobe für die nächste Mission mit. Ach ja, und Abbie ist aus London zurück. Mario, lass Caleb bitte durch.«
    Sie ist also tatsächlich zurückgekommen. Ich schaue zu Mario hinüber, der Nassim durchdringend anstarrt. Nach ein paar Sekunden gibt er es auf und tritt zur Seite.
    Ich persönlich mag Nassim, doch Mario kann sich nicht damit abfinden, dass Nassim einen besseren Draht zu Onkel hat als er selbst. Und das Einzige, was ihn davon abhält, Nassim herumzukommmandieren, ist die Vermutung, dass Onkel dies nicht gefallen würde. Außerdem hat Nassim bestimmt fünfzehn Kilo mehr Muskeln als er.
    Bevor ich den Aufenthaltsraum verlasse, gehe ich in meine Kabine und nehme die Kleider mit, die Nassim für meine nächste Mission bereitgelegt hat – ein weißes Leinenhemd, eine weinrote Weste, eine schwarze Kniebundhose sowie ein Paar solide
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