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Die Time Catcher

Die Time Catcher

Titel: Die Time Catcher
Autoren: Richard Ungar
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paar Karatekicks machen. Ich verwende also vielleicht nicht ganz so viel Zeit auf die Recherche, wie ich eigentlich sollte.
    Ich werfe einen Blick zu meinem Zimmer hinauf, sehe jedoch keine Bewegung hinter dem Fenster, und das ist auch gut so. Ich weiß nicht, wie ich in diesem Moment Mario gegenübertreten sollte.
    Während ich die Stufen zum Haupteingang in Angriff nehme, bin ich mir voll bewusst, dass jeder meiner Schritte aufgezeichnet wird. Onkel will stets darüber informiert sein, wer kommt und wer geht.
    Als ich die Lobby betrete, sehe ich, dass die Galerie ein neues Exponat hat: Es ist ein Hologramm, das rosa Bowlingkugeln zeigt, die um eine Art Teekanne mit doppelter Tülle kreisen. Jedes Mal, wenn eine Kugel an einer Tülle vorbeischwebt, leuchtet darüber ein Bild der Arktis auf, worauf die Temperatur in der Lobby um zwei Grad sinkt. Nett.
    Als ich auf den Knopf des Aufzugs drücke, spüre ich nichts als die leichte Kühle, die vom Hologramm mit den Bowlingkugeln ausgelöst wird. Dennoch werde ich in diesem Moment von einem Dutzend Sensoren erfasst, die meine Identität bestätigen. Sie gehören zu Onkels Sicherheitssystem, das ihm unerwünschte Personen wie Polizisten oder Mitarbeiter des Finanzamts vom Hals halten soll. Natürlich hätten diese Personen keinerlei Probleme, der Anwaltskanzlei Cohen und Chen im zweiten Stock einen Besuch abzustatten oder ihre Hunde zum Zähnebleichen im ersten abzuliefern, doch sobald sie die dritte oder vierte Etage erreichen wollten, würden sie umgehend die Nachricht erhalten, dass der Lift für diese Stockwerke außer Betrieb ist.
    Ganz abgesehen davon, dass es in dem Aufzug ohnehin gar keinen Knopf mit der Zahl vier mehr gibt. Im Zuge des Großen Freundschaftsabkommens hat der Bürgermeister nämlich verfügt, alle Nummer-vier-Knöpfe in jedem Aufzug Manhattans zu entfernen, da die Zahl vier in China als Unglückszahl gilt. Für gut zwei Monate herrschte daraufhin bei den Pizzazustellern der Stadt das totale Chaos.
    Von innen gleicht der Aufzug vielen anderen altmodischen Aufzügen in New York, äh, ich meine natürlich New Beijing: ein viereckiger Kasten aus Stahl, in dem man sich, nachdem sich die Türen geschlossen haben, wie in einem Gefängnis vorkommt.
    »D rei«, sage ich.
    »I ch habe Sie nicht verstanden«, höre ich eine quäkende Stimme, während Phoebe, die Liftbegleiterin, auf dem Monitor an der Wand erscheint. Sie trägt einen eleganten königsblauen Hosenanzug mit roten Biesen und einer Doppelreihe silberner Knöpfe an der Jacke. Eine passende Schirmmütze komplettiert ihr Outfit. Für eine Computeranimation sieht sie ziemlich scharf aus.
    Natürlich wäre sie schwer beleidigt, würde man ihr ins Gesicht sagen, dass sie nur ein Computerbild ist, denn sie tut stets so, als sei sie eine lebendige Person aus Fleisch und Blut. Ihr auf menschlicher DNA basierendes Betriebssystem versetzt sie in die Lage, in einer Sekunde eine Billion Rechenoperationen durchzuführen, demzufolge wäre es stark übertrieben, sie als echte Person zu bezeichnen. Andererseits ist sie außerordentlich geschickt darin, bestimmte menschliche Verhaltensweisen nachzuahmen, und versteht es meisterhaft, mich zu provozieren.
    »P hoebe, bitte«, flehe ich und atme tief durch. Aber zu spät. Die Entspannung der Chi-Pause ist schon wieder verflogen.
    »B itte was?«, fragt sie mit gespielter Ahnungslosigkeit.
    »B ring mich bitte in den dritten Stock«, antworte ich.
    »W arum nicht lieber in den vierten, fünften oder sechsten?« Ihre Stimme klingt äußerst liebenswürdig.
    Gegen ihre Spielchen wäre ja nichts einzuwenden, wenn es darum ginge, unliebsame Eindringlinge von der Firma fernzuhalten, doch in diesem Moment gehen sie mir ziemlich auf den Wecker.
    »P hoebe, ich bin gerade aus China zurückgekommen. Mir ist total warm, ich bin müde und durstig und muss mich zurückmelden. Könntest du mich jetzt also bitte in den dritten Stock bringen?«
    Für einen Moment herrscht absolute Stille. Ich weiß, was das zu bedeuten hat. Sie versucht, mich aus dem Gleichgewicht zu bringen und daran zu erinnern, wie mächtig sie ist und wie klein und unbedeutend ich bin. Aber vielleicht interpretiere ich auch zu viel in ihr Verhalten hinein. Vielleicht steht ihr eine menschliche Eigenschaft wie Boshaftigkeit gar nicht zur Verfügung. Ich meine, genau genommen besteht sie ja nur aus einem Haufen von DNA durchdrungenen Nervenzellen und ein paar Mikrochips, die nicht mal zu den allerneusten
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