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Die Time Catcher

Die Time Catcher

Titel: Die Time Catcher
Autoren: Richard Ungar
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mich verletzen, ehe ich verschwunden bin.
    Er sieht mich mit überheblichem Lächeln an: »D u glaubst, dass du besser bist als ich, stimmt’s, Caleb?«
    Ich bin versucht, ihm recht zu geben. Schließlich ist das der erste vernünftige Satz, den er von sich gegeben hat, seit er hier aufgetaucht ist. Doch stattdessen entgegne ich: »W enn du glaubst, dass dir das bei Onkel ein paar Pluspunkte einbringt, dann irrst du dich.«
    »U m ehrlich zu sein, weiß ich gar nicht, warum Onkel dich überhaupt noch beschäftigt«, fährt Mario fort. »D u bist eher ein Traumtänzer als ein Time Catcher. Ich lasse mich von meinen Träumen nicht ablenken. Träumer träumen. Aber Diebe stehlen.«
    »B rillante Feststellung, Mario«, entgegne ich. »V or allem weil du diesen Monat erst vierzehn Catchs auf deinem Konto hast, drei weniger als ich.«
    Für einen Moment starrt er mich böse an, ehe sein Gesicht den üblichen selbstgefälligen Ausdruck annimmt.
    »K omm heute Abend nicht zu spät zum Essen«, sagt er. »I ch mach Pekingente, das Lieblingsessen meiner Freundin.«
    Nur mit größter Selbstbeherrschung gelingt es mir, ruhig zu bleiben. Ich weiß, dass er Abbie meint.
    In diesem Moment wird es ohrenbetäubend laut. Direkt über unseren Köpfen durchschneiden die Rotorblätter des Hubschraubers den dunklen Himmel. Der helle Strahl eines Suchscheinwerfers wandert nur knapp neben uns über das Dach.
    Mario blickt auf, klopft zugleich aber wie wild auf sein Handgelenk. Also zögere auch ich nicht länger und tue dasselbe. Im nächsten Moment schwenkt er beide Arme über seinem Kopf und schreit sich die Kehle aus dem Hals. Es klingt etwa wie »H altet den Dieb«, doch genau lässt sich das bei dem Lärm nicht feststellen, und im nächsten Moment ist er verschwunden.
    Ich sollte es ihm eigentlich gleichtun, doch aus irgendeinem Grund bin ich nicht in der Lage dazu.
    Sekunden später werde ich von dem Suchscheinwerfer erfasst.
    »B ú yaò dòng – bleib stehen!«, höre ich eine Lautsprecherstimme. Vielen Dank für die Übersetzung, aber die wäre gar nicht nötig gewesen. Ich habe einen Chip, der mir alles, was ich höre, sofort übersetzt.
    Ich klopfe erneut auf mein Handgelenk. Stiefelgetrampel und Schreie kommen näher.
    Drei Wächter stürmen mir entgegen. Einer hat bereits seine Pistole gezückt.
    Wohin soll ich mich wenden? Ich stehe an der Kante des Daches.
    Ich trete hinter die US -Flagge und benutze sie als Deckung.
    Sie werden doch nicht am ersten Tag ihrer Großen Freundschaft die amerikanische Fahne durchlöchern, oder doch?
    Ich schließe die Augen und mache mich bereit.
    Die Wächter sind nur noch wenige Schritte von mir entfernt. Der Erste streckt seine Hand nach mir aus.
    Doch sie greift ins Leere.

22. Juni 2061, 16:08 Uhr
    Tribeca, New Beijing (früher New York City)
    I ch lande am nördlichen Ende der Franklin Street zwischen zwei parkenden Autos, direkt gegenüber dem Hauptquartier.
    Es ist jetzt acht Minuten nach vier Uhr nachmittags, Ortszeit, was bedeutet, dass ich zweiunddreißig Minuten lang fort war: genau die Zeitspanne, die ich mich in der Vergangenheit aufgehalten habe. Sie wird vor Beginn eines Auftrags einprogrammiert, was auch sinnvoll ist, wenn man näher darüber nachdenkt. Denn man könnte bei halbstündigen Zeitreisen seine Rückkehr in die Gegenwart auch so berechnen, dass nur zwei Minuten vergangen sind. Wobei man allerdings ziemlich durcheinanderkommen würde.
    Eine gelbe Rikscha saust nur Zentimeter an mir vorbei. Seit die Stadt total chinaverrückt geworden ist, haben die meisten Taxifahrer ihre Fords gegen diese überdimensionalen Lastenfahrräder eingetauscht, auf deren Rückbank zwei Passagiere Platz finden. Sie machen zwar nicht viel her, halten aber bestimmt ewig.
    Doch eines hat sich nicht geändert: Es ist immer noch unmöglich, in New York ein Taxi zu ergattern. In New Beijing, wollte ich sagen. So sollen wir dem Bürgermeister zufolge die Stadt nun ein Jahr lang nennen. Warum auch nicht? Die Einwohner von Beijing haben es schlechter getroffen. Sie sollen ihre Stadt nun ein Jahr lang als Dà Píng Gu ŏ bezeichnen, was auf Mandarin »B ig Apple« heißt.
    Ein gewaltiges Fluch- und Hupkonzert dröhnt in meinen Ohren. Als ich auf den Bürgersteig stolpere, schnauzt mich sofort jemand an, ich solle aus dem Weg gehen, während ein anderer mir eine gefälschte Rolex andrehen will. Normalerweise wäre ich für mindestens einen dieser Vorschläge empfänglich, doch ich bin immer noch nicht
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