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Die Teufelssonate

Die Teufelssonate

Titel: Die Teufelssonate
Autoren: Alex van Galen
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genannt, doch Notovich gab es Gott sei Dank nicht mehr. Die Anonymität paßte ihm wie eine bequeme Jeans und alte Turnschuhe.
    »Ich war gestern im Gemüseladen, Äpfel kaufen.«
    »Und am Tag davor?«
    »Da hatte ich keinen Appetit auf Äpfel. Aber sollte ich noch was aus dem Gemüseladen brauchen, dann werde ich nicht zögern, das verspreche ich.«
    »Schön zu hören«, brummte sie.
    »Es geht mir besser. Das rufen zumindest alle den ganzen Tag.«
    »Wer ist ›alle‹?«
    »Linda.«
    »Aber du findest nicht, daß sie recht hat?«
    »Wie soll ich das beurteilen? Ich würde gern deine Meinung hören.«
    »Na gut, schauen wir mal. Es fällt dir leichter zu reden, du bist aktiver und aufmerksamer. Das sind alles gute Zeichen.«
    Es klang nicht wirklich optimistisch. Als habe sie auf einen großen Durchbruch gewartet, der einfach nicht kam. Notovich studierte ihr Gesicht. Nicole war eine kleine, stämmige Frau mit braunem Igelschnitt, riesigen Ohrläppchen und einem zarten, blassen Teint. Auf den ersten Blick wirkte sie ziemlich launisch. Das Leid ihrer Patienten hatte sich in den letzten Jahren in ihrer Haut festgesetzt wie Zigarettenrauch in einem Oberhemd. Aber dieser mürrische Blick verbarg eine Schwäche für all ihre Patienten, das wußte er inzwischen. Wenn nötig, würde sie ihn sogar bei sich aufnehmen und jeden Abend in den Schlaf singen. Nicht, daß er dort jemals würde übernachten wollen. Seiner Schwester zufolge hatte Nicole zwei gigantische Neufundländer zu Hause, die sie den ganzen Tag verhätschelte, während die Viecher ihr den Garten vollschissen und das frischgebackene Brot auf der Anrichte wegfraßen. Das wunderte Notovich nicht.
    »Ich habe gestern Bier getrunken«, sagte er in einer Anwandlung von Offenherzigkeit.
    »Nur zu.«
    »Ich wollte mal überprüfen, ob diese hysterischen Warnungen auf den Beipackzetteln stimmen.«
    »Und?«
    »Sie stimmen.«
    »Woher weißt du das?«
    Er zuckte mit den Schultern.
    »Hattest du Alpträume?«
    Er wollte auf die Uhr schauen. Verdammt, er mußte sie zu Hause liegengelassen haben. Er hatte nicht vor, seinen Traum mit ihr zu besprechen, als ob es um eine Nebenwirkung ginge. Er bekam einfach Durst von diesen Tabletten. Und einen ekligen Geschmack im Mund. Darum hatte er Lust auf ein Bier gehabt, auch wenn es überhaupt nicht geschmeckt hatte. Nicole fragte, ob sie ihm lieber etwas anderes verschreiben solle, aber das hielt er nicht für nötig. Davon würde er höchstens einen anderen unangenehmen Geschmack bekommen.
    Wieder Stille.
    »Es wundert mich, daß du nicht von morgen anfängst. Das ist doch ein großer Tag für dich.«
    »Ist das schon morgen?« fragte er scheinbar nonchalant.
    Linda hatte ihm eine Stelle am Konservatorium organisiert. Das war nicht ohne Aufregung über die Bühne gegangen. Die Leitung wollte natürlich gern so einen großen Namen an ihre Einrichtung binden, nur konnten sie die ganze Sache von vor zwei Jahren schließlich nicht einfach so vergessen. Linda hatte sich darauf vorbereitet, daß das Thema zur Sprache kommen würde. Um keine Fehler zu machen, hatte sie sich sogar Tips aus einem Selbsthilfebuch geholt. Aber als das Gespräch auf eine Art Verhör hinauslief, zeigte sich, daß sie doch weit weniger entspannt, offen und voller Frieden war, als sie es sich eingeimpft hatte. Vor der versammelten Leitungsmannschaft bekam sie einen Wutanfall: Wer waren sie denn, daß sie ihren Bruder dermaßen verurteilten? Einen so begabten Musiker! So gestört wie Beethoven oder Schumann konnte er ja wohl nicht sein? Oder würden sie die auch als Dozenten ablehnen? Na? Na? Na dann!
    Der Punkt ging natürlich an sie. Nach reiflicher Überlegung fand man eine Lösung: Notovich dürfe zunächst zwei Schüler unter seine Fittiche nehmen. Dabei mangelte es durchaus nicht an Interesse. Das Gerücht, daß der Virtuose unterrichten würde, sorgte für Aufregung unter den Studenten. Einer aus einem höheren Semester stellte sogar eine Liste mit Bewerbern zusammen. Daß Notovich den Ruf hatte, ein gefährlicher Irrer zu sein, schreckte offenbar niemanden ab. Im Gegenteil: Auf der Liste standen sage und schreibe dreiundvierzig Namen – nicht nur Pianisten, sondern auch Geiger, Flötisten, Sänger und ein Akkordeonist (»Mein Instrument hat wenigstens Tasten«, hatte der empört gerufen).
    Die Leitung beschloß, zwei Versuchskaninchen auszuwählen. Man ging dabei so demokratisch wie möglich vor: Es wurden zwei fortgeschrittene Studenten mit
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