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Die Teufelssonate

Die Teufelssonate

Titel: Die Teufelssonate
Autoren: Alex van Galen
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hängen und schien sich dann in nichts aufzulösen. Der Saal verstummte. Der Pianist schaute erstaunt auf die fremde Hand.
    Der Ermittler räusperte sich.
    »Bitte kommen Sie mit aufs Revier. Es geht um das Verschwinden von Senna van Ruysdael.«
    Dieser Name schien nicht zu dem Pianisten durchzudringen. Er schaute den Polizisten mit dem wilden Blick eines Kindes an, das gerade bestraft worden ist.
    »Soll ich weitermachen?«
    Der Direktor schüttelte den Kopf, das sei nicht nötig. Dann ließ Notovich sich unter dem Piepen und Klicken von Handys und Kameras fügsam abführen. Im Internet kursierten noch am selben Abend Aufnahmen, verwackelt und schlecht belichtet: Notovich schwebt zwischen zwei Uniformen über die Bühne, bleich, mit leeren Augenhöhlen, ein Echo aus einer anderen Welt.
    Direkt vor der Bühne brach eine Frau zusammen. Eine andere begann, laut zu schluchzen. Das war ihr Notovich, niemand durfte ihn verletzen. Manche Leute spürten, daß dies ein historischer Moment war, und fingen an zu klatschen. Der zögernde Applaus schien den Pianisten seltsamerweise doch zu erreichen. Reflexartig drehte er sich um und machte eine elegante Verbeugung. Es war das letzte Mal, daß das große Publikum ihn spielen hörte.

1
    I n den ersten Tagen umgab ihn Sennas Anwesenheit noch wie ein Parfüm, das langsam verflog. Er konnte sie auf seiner Haut spüren, in seinen Kleidern riechen und neben sich im Bett liegen sehen. Aber danach begann das große Vergessen, gnadenlos wie das Fortschreiten der Zeit. Die Details verblaßten. Die kleinen Flaumhärchen auf ihrer Wange, die seltsame Ausstülpung ihres Nabels und der Geschmack ihrer Haut – alles wurde unschärfer. Manchmal kam auf einmal eine ihrer bizarren Bemerkungen in ihm hoch, doch dann zweifelte er wieder: Hatte sie wirklich genau diese Worte gebraucht? Auch die entglitten ihm immer häufiger.
    Aber das war nicht das einzige, was er verloren hatte. Ihre letzten Stunden waren vollständig aus seinem Gedächtnis gelöscht.
    Der Tag, an dem sie verschwand, hatte angefangen wie alle anderen. Er hatte lange im Bett gelegen und gelesen. Als er Hunger verspürt hatte, war er lustlos zu einem Restaurant geschlendert. Danach war er stundenlang durch die Straßen gestreift, wie er es öfter tat. Seit die Beziehung mit Senna vorbei war, fehlte seinem Leben jede Richtung. Doch was an jenem Tag sonst noch geschehen war, wußte er nicht mehr.
    Die Polizei unternahm zunächst nicht viel, als die Meldung über Sennas Verschwinden einging. Eine Streife schaute bei seiner Wohnung vorbei, aber er war nicht zu Hause. Niemand hatte ihn gesprochen oder gesehen. Bis eine Nachbarin abends beobachtete, wie er in ein Taxi stieg, um zu seinem Auftritt zu fahren. Sie sah die Blutspuren auf seiner Haut und den wilden Blick in seinen Augen. Sie rief sofort die Nummer an, die die Polizisten ihr gegeben hatten.
    Da wurde Alarm geschlagen.
    Notovich war ein paar Wochen zuvor in Zusammenhang mit einem anderen Zwischenfall schon einmal vernommen worden. Senna war damals nach einem Verkehrsunfall ins Krankenhaus gekommen, und jemand hatte der Polizei den Tip gegeben, daß Notovich den Unfall absichtlich verursacht habe. Man hatte ihn verhört, aber das Opfer hatte keine Anzeige erstattet.
    Dieser Vorfall machte Notovich nun zusätzlich verdächtig.
    Er wurde inhaftiert.
    In seiner Wohnung fand die Polizei nichts, was auf ein Verbrechen oder Selbstmord hingewiesen hätte. Jemand von der Spurensicherung kam in seine Zelle, um eine Probe des getrockneten Bluts von seinem Hals und seinen Händen zu nehmen. Notovich ließ ihn gewähren. Seine Kleidung wurde mit Schwarzlicht gescannt, doch man fand keine Blutspuren darauf. Sie wollten unter seinen Fingernägeln nach Hautpartikeln des möglichen Opfers suchen, nur waren diese zu kurz, wie bei vielen Pianisten. Immer wieder stellten die Ermittler dieselben Fragen und hielten ihn stundenlang fest. Notovich erinnerte sich an nichts.
    An gar nichts.
    Sie glaubten ihm natürlich nicht. Aber die Zeit drängte, denn ohne Beweise konnten sie ihn nicht unbegrenzt festhalten. Nachdem sie ihn eine Nacht lang verhört hatten, wurde er zu einer medizinischen und psychologischen Untersuchung in eine geschlossene Anstalt gebracht. Dort bekam er etwas zu essen und durfte sich duschen. Zum ersten Mal war er für einen Moment allein.
    Als er sich auszog, roch er Sennas Parfüm auf dem T-Shirt unter seinem Oberhemd. Unbestimmte Gefühle wallten in ihm auf. Sie hatte dieses
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