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Die Teufelssonate

Die Teufelssonate

Titel: Die Teufelssonate
Autoren: Alex van Galen
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Er kam fast nie aus seinem Zimmer, und niemand erkannte ihn. Er erwartete, daß die französische Polizei eine Großfahndung starten würde, doch das geschah nicht. Inzwischen hatte die Nachricht auch die Niederlande erreicht. Einer Zeitung entnahm er, daß seine Wohnung in Paris nochmals durchsucht worden war. Man hatte nichts gefunden. Die Franzosen forderten die niederländische Regierung auf, den Pianisten auszuliefern. Aber niemand wußte, ob er überhaupt in den Niederlanden war. Außerdem fand das Außenministerium, bei den Ermittlungen seien Fehler gemacht worden. Notovich sei immer noch niederländischer Staatsbürger. Er habe Rechte.
    Und so versandeten alle Versuche der Franzosen. Nach ein paar Wochen Gezerre stellten sie die Ermittlungen vorläufig ein. Dann erst wagte Notovich, seinen Anwalt unter dessen Privatnummer anzurufen. Der Anwalt reagierte ziemlich förmlich, denn genau wie Notovich fürchtete er, daß das Gespräch abgehört wurde. Er sagte, Notovich habe mit seiner Flucht einen großen Fehler begangen. Aber er ließ durchschimmern, daß es vorerst keinen Grund zur Besorgnis gebe, solange er sich nur ruhig verhalte. Ins Ausland dürfe er natürlich nicht reisen.
    Der Fall kam tatsächlich nicht vor Gericht. Nicht, daß es Notovich viel ausgemacht hätte. Er hätte seine Zeit ebensogut in einer echten Zelle verbringen können. Sein Gedächtnisverlust war für ihn auch ein Gefängnis, allerdings eins, dessen Schlüssel verlorengegangen war. Das einzige, was er noch von Senna hatte, war das T-Shirt mit ihrem Geruch. Er hatte keine Ahnung, warum er sich nicht davon trennen konnte. Er hätte auch etwas anderes mitnehmen können, das ihn an sie erinnerte, das wäre zweifellos schlauer gewesen. Vielleicht brauchte er etwas, das ihm bewies, daß sie wirklich verschwunden war. Oder daß sie wirklich existiert hatte. Denn das Blut stammte von Senna, das wußte er genau.
 
    Er zog in einen alten Abstellkeller, der früher ihm gehört hatte, doch jetzt auf den Namen seiner Halbschwester Linda lief. Der Keller war zehn Minuten zu Fuß von ihrer Wohnung entfernt. Sie kaufte ein, kochte ab und zu für ihn und war lange Zeit sein einziger Kontakt mit der Außenwelt. Er lag den ganzen Tag im Bett oder auf dem Sofa, wusch und rasierte sich nicht und aß kaum etwas. Er sah niemanden.
    Er wollte mit seiner Vergangenheit ins reine kommen, aber wie kommt man mit einem schwarzen Loch ins reine? Sein Gedächtnis hatte sich in einen pechschwarzen Strudel verwandelt, der alles verschluckte, was in seine Peripherie kam: Meteore, Monde, Planeten und Senna, die Sonne.
    Eine überwältigende Müdigkeit kroch in seine Arme und Beine. Senna entglitt allmählich seiner verzweifelten Umarmung. Selbst an sie zu denken, wurde ihm zu anstrengend. Nachts konnte er nicht schlafen, und tagsüber konnte er nicht wach bleiben, so daß Tag und Nacht wie Sirup ineinanderflossen. Fast unmerklich und langsam wie ein Öltanker war seine Welt zum Stillstand gekommen. Sogar seine Wut verebbte. In seinen düstersten Momenten wollte er aus dem Fenster springen, aber er hatte nicht die Energie dafür. Und außerdem hockte er ja in einem Keller. Manchmal schrie er die Wände an. Vielleicht würde es Trost spenden, wenn jemand zuhörte, doch es hörte niemand zu.
    Schließlich griff Linda ein. Sie steckte ihn unter die Dusche und brachte ihn zum Arzt. Widerwillig ging er mit, aber als er einmal da war, erzählte er offenherzig, wie er sich fühlte. Der Arzt erkannte ihn nicht als den großen Musiker. Er schaute die ganze Zeit auf seinen Computerbildschirm und schlußfolgerte dann: »So, es geht Ihnen also momentan nicht besonders? Das ist nicht so schön für Sie.« Dann verschrieb er ihm ein paar »Pillen«, durch die er sich besser fühlen würde.
    Die Pillen halfen nicht.
    Zu guter Letzt stellte Linda ihn einer Freundin vor, die hin und wieder mit Notovich reden wollte, wenn er das Bedürfnis danach hatte. Doch er roch die professionelle Fürsorge schon aus einem Kilometer Entfernung. Außerdem fand er es leichtsinnig von Linda, jemandem zu sagen, wer er war. Aber sie meinte, daß man Nicole vertrauen könne. Sie ließ das Thema vorläufig ruhen und fing eine Woche später wieder davon an. Nicole sei eine Psychiaterin, die für ihre Hilfe Fristen setze. Sie lasse ihre Patienten nicht einfach so herumwursteln. Außerdem könne er jederzeit damit aufhören. Was halte ihn noch zurück?
 
    Eines Nachts sah er Senna im Traum vor sich. Er saß an
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