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Die Teufelssonate

Die Teufelssonate

Titel: Die Teufelssonate
Autoren: Alex van Galen
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Erinnerungen, die hochkamen, ließen sich nicht mehr so schnell beiseite schieben. Sie waren wie Gäste geworden, die zu lange auf einer Party bleiben. Wenn man am nächsten Tag mit einem Kater erwacht, sitzen sie noch im Wohnzimmer und verkünden, daß sie für immer bei einem einziehen würden.
    Notovich hatte Valdin die Frau genommen, die er liebte, die Karriere und schließlich das Leben. Und doch hatte Valdin eine Art Genugtuung erhalten, denn Notovich würde die Bilder von Sennas letzten Augenblicken nie mehr aus seinem Kopf bekommen. Er hatte sie nicht umgebracht, trotzdem fühlte er sich schuldig an ihrem Tod. Mit diesen Erinnerungen zu leben war eine schwere Strafe und vielleicht auch die gerechteste. Oft hatte er Heimweh nach dem schwarzen Loch. Nur zu gern würde er wieder darin verschwinden.
    An diesem Abend brachte Linda eine andere Besucherin mit: Natasja.
    Er war froh, sie zu sehen, aber es tat auch weh. Mehr als er für möglich gehalten hätte.
    Sie lächelte nervös. Er bat Linda, sie einen Moment allein zu lassen. Widerwillig verließ sie das Zimmer. Natasja setzte sich auf die Bettkante. Er wollte etwas sagen, doch sie holte einen Brief hervor.
    Er war von Vivien.
 
    Mikhael,
 
    diesen Brief gebe ich Natasja, weil ich weiß, daß ich ihr vertrauen kann. Es geht mir einigermaßen gut. Ich bin lange von der Polizei verhört worden.
    Ich habe ihnen gesagt, daß es ein Unfall war und daß Valdin ebenso schuldig ist an Sennas Tod wie Du. Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, ob das wirklich stimmt, aber das ist nun nicht mehr wichtig. Wir kommen sowieso nie wieder los von unserem Schmerz.
    Ich denke, sie glauben mir.
    Ich begreife jetzt erst, wie ähnlich Ihr Euch seid, Du und Valdin. Zwei Verrückte mit denselben Obsessionen. Doch für einen dieser Verrückten werde ich stets einen Platz in meinem Herzen bewahren, und vor dem anderen habe ich immer noch Angst, obwohl er tot ist.
    Ihr habt um sie gekämpft, aber Ihr habt sie beide nicht gekannt. Ihr wart viel zu sehr mit Euch selbst beschäftigt, um ihr Talent zu sehen. Irgendwo in Paris liegen die Bilder meiner lieben, phantastischen, tragischen Schwester. Ich werde sie finden, und wenn ich mein ganzes Leben lang suchen muß. Du denkst vielleicht, daß ich ihr nichts schuldig bin, doch das ist nicht so. Wir haben alle drei Schuld an ihrem Tod: Du, Valdin und ich. Du und ich müssen diese Last für den Rest unserer Tage tragen.
    Mikhael, es wird mir nie gelingen, Dich zu vergessen, und ich fürchte, daß Du mich auch nie in Ruhe lassen wirst, aber unsere Liebe war von der ersten Sekunde an eine Lüge. Ich muß mich von diesem schrecklichen Wahn befreien. Wenn Du das liest, bin ich schon weit weg.
    Ich bitte Dich nur um eins: Such mich nicht. Laß Senna und mich nun in Frieden.
    Deine Liebste,
    Vivien             
 
    Es gab ihm einen Stich. Sie hatte ihre Hand über ihn gehalten. Ihre Aussage würde ihn vielleicht freisprechen.
    Dem Brief war ein Blatt Papier beigefügt, fleckig und zerknittert, mit einer handgeschriebenen Komposition. Darüber las er in einer Handschrift, die er erkannte, mit großen Schnörkeln und Schwüngen:
 
    Teufelssonate, von Franz Liszt
    Opus postumum.
 
    Da stand es schwarz auf weiß. Aber es war seine Handschrift, und es waren seine Noten, in holprigen Linien, als ob sie in großer Eile aufs Papier geworfen worden wären. Das musikalische Thema, das ihm immer wieder entfallen war, war seiner eigenen, unaufhaltsamen Phantasie entsprossen, in einer manischen Phase viel zu hochtrabender, nicht erfaßbarer Gedanken und Gefühle. Jetzt, mit der unvermeidlichen Nüchternheit betrachtet, die die Medikamente ihm verliehen, hatten die Noten ihren magischen Glanz verloren. Die Teufelssonate war eine Phantasie. Liszt hatte sie nie geschrieben.
    Er konnte seine Tränen nicht bezwingen. »Natasja … ich habe dir so weh getan.«
    »Das warst nicht du selbst. Es war die Krankheit. Das verstehe ich jetzt.«
    »Hast du mit ihr gesprochen – mit Vivien?«
    Natasja nickte.
    »Sie hat mir erklärt, daß deine Liebe ein Wahnbild war. Sie haben es bewußt genährt. Sie haben wirklich versucht, dich verrückt zu machen.«
    »Das ist ihnen auch ganz gut gelungen.«
    »Irgendwann wußte Vivien selbst nicht mehr, was echt war und was nicht. Sie fühlt sich genauso schuldig wie du.«
    »Aber sie hat Senna nicht in den Tod getrieben.«
    »So darfst du nicht reden.«
    Er weinte wieder, während Natasja ihm über den Kopf strich. Eine
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