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Die Teufelsbibel

Titel: Die Teufelsbibel
Autoren: Richard Dübell
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Mönchs funkelten vor Hass.
    »Ich gehorche«, sagte Bruder Tomáš schließlich. Er stapfte hinaus.
    Der Prior drehte sich zu Pavel und Buh um. »Geht und sucht Rat in euch selbst und im Zwiegespräch mit Gott«, sagte er. »Morgen zur Prim will ich eure Entscheidung hören.«
    Pavel und Buh schlurften durch die Kirche und öffneten das Portal, das Bruder Tomáš geräuschvoll hatte zufallen lassen. Pavel drehte sich noch einmal um. Prior Martin kniete vor dem Altar, die Hände vor das Gesicht geschlagen. Seine Schultern zuckten. Pavel schloss das Portal ohne einen Laut und schlich an der Seite von Buh in die Nacht hinaus.

1579:
Der Schutzengel
    »Du hast mein Leben dem Tod entrissen, meine Tränen
getrocknet, meinen Fuß bewahrt vor dem Gleiten.«
    Psalm 116,8

 
    Agnes Wiegant sah sich vorsichtig um. Niemand in der Nähe – gut. Oder auch schlecht, ganz wie man es betrachtete. Gut war es, weil es niemanden gab, der ein wissenschaftliches Experiment schon im Ansatz vereiteln konnte, indem er seine Ausführung verbot. Schlecht war es, weil auf diese Weise auch niemand zu Hilfe eilen konnte, falls einem das Experiment über den Kopf wuchs. Agnes starrte die Abflussröhre nachdenklich an. Das Leben war zuweilen kompliziert für ein sechsjähriges Mädchen.
    Der Winter hatte sich vergangenes Jahr schon Anfang November in Wien breitgemacht. Jetzt war Lichtmess vorbei, und die Kälte schien immer noch zuzunehmen. Für Agnes, der jeder Tag, der im Inneren eines Hauses zu verbringen war, wie ein Tag im Kerker dünkte, hatte der Winter eindeutig keine Berechtigung, sie weiterzutyrannisieren. Da der Winter nicht genügend Einsehen besaß, das von selbst zu merken, hatte Agnes beschlossen, ihn mit Verachtung zu strafen und so zu tun, als gäbe es ihn nicht. Sie war in ihren kurzen, dünnen Mantel geschlüpft und hinaus auf die Kärntner Straße geschlichen. Begünstigt wurde ihre Flucht durch den Umstand, dass die Dienstboten wegen Lichtmess Urlaub hatten und die Aushilfen, die Agnes’ Mutter für diese Zeit beschäftigte, ihre Arbeit sogar noch schlechter besorgten als das fest angestellte Gesinde – welches, ging man nach Agnes’ Mutter Theresia, ohnehin schon das Letzte vom Letzten war und bei einem weniger gutmütigen Herrn als Niklas Wiegant bereits vor Jahren auf die Straße gesetzt worden wäre. Dementsprechend hatte Theresia Wiegant ihren Feldherrnhügel in der Küche bezogen, regierte dort auf schreckliche Weise und ging so in ihrer Tätigkeit auf, dass sie die Existenz ihrer Tochter vollkommen vergessen hatte.
    Am Kindermädchen vorbeizuschleichen, das im seligenGlauben, in der Stube befinde sich eine friedlich schlafende Agnes, auf einer Truhe davorsitzend eingeschlummert war, war ein Klacks gewesen. Draußen hatte Agnes das Abflussrohr erblickt, und eine Untersuchung hatte sich ihr förmlich aufgedrängt, die der einzige Grund war, warum es dem Winter erlaubt sein sollte, noch ein paar Augenblicke zu verweilen. Süß? Oder sauer?
    In der Kärntner Straße hatten Schnee und Reif einen grauweißen Belag über das Pflaster gelegt, der in der Mitte der Gassenführung von den Pferden und Fuhrwerken zu tiefen Rinnen geformt worden und von der Kälte zu knochenbrecherischer Härte gefroren war. Der beständige Ostwind hatte Wien mit einem Eispanzer überzogen, der das gesellschaftliche Leben in eine Art Starre hatte fallen lassen. Die Starre war in den letzten Jahren allerdings auch in den anderen Jahreszeiten spürbar geworden – Anliegen an den Kaiser, die nicht geregelt wurden, weil Rudolf von Habsburg die Anliegen der Welt nur noch mit Mühe erkannte; kirchliche Angelegenheiten, die jahrelang nicht geregelt worden waren, weil der Bischofsstuhl wegen des Verzichts von Bischof Urban vakant gewesen war; Prozessionen, die wegen der zu befürchtenden protestantischen Übergriffe abgesagt worden waren … Dinge, die für eine Sechsjährige nur minder interessant gewesen wären, wäre da nicht die ärgerliche Tatsache gewesen, dass es seit 1570 nicht nur keine Fronleichnamsprozession mehr gegeben hatte, sondern seit einigen Jahren auch die Bittprozessionen zu Lichtmess regelmäßig abgesagt wurden. Agnes hatte gehört, dass bei der letzten Fronleichnamsprozession ein protestantischer Bäckerjunge die Hostie geschändet haben sollte und dass nämlicher Bäckerjunge hernach vom Teufel höchstpersönlich durch die Luft davongetragen worden war. Sie hatte von Herzen gehofft, Zeuge einer derartigen Szene zu werden,
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