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Die Terranauten TB 01 - Sternenstaub

Die Terranauten TB 01 - Sternenstaub

Titel: Die Terranauten TB 01 - Sternenstaub
Autoren: Rolf W. Liersch
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totale Vermischung der Rassen – woran man ja im Nachhinein eine Menge positives finden kann.
    Die Konzerne waren hilflos. Die Kasten natürlich ebenso. Ganz besonders einer aus der Söldnerkaste mit Namen Mayor Gordon, aber das lag an seiner momentanen Situation. Nur einer war nicht hilflos.
    Ein Eskimo-Schamane, dessen Name bis heute keiner kennt. (Aus den Aufzeichnungen des Alternativen Historikers A. Zoller, 2343 bis 2414 n.C.)

III
    Grönland wird wieder Grünland, das wußte der Eskimo-Schamane.
    Er wußte nicht, woher er das wußte.
    Er hatte lange nachgedacht. Er hatte sich seinen eisverkrusteten Bart gestrichen und daran gedacht, daß ihm das Denken schwerfiel. Das Fühlen lag ihm näher. Das Empfinden, das Wahrnehmen von Strömungen aus der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Es waren manchmal nur Gedankenfetzen, und er war sich nicht sicher, wer der Absender war – Mensch, Tier oder Pflanze. Er hielt das übrigens auch nicht für besonders wichtig. Der Eskimo-Schamane hatte die Selektive Wahrnehmung. Ohne zu denken.
    Wichtig war, was stark genug war. Wichtig war, was wichtig war.
    Als der Eskimo-Schamane die Botschaft hörte, war er stark genug, aufzubrechen, sich von seiner Familie zu verabschieden, sein kleines Haus aus großen Reklameblechen, Styropor und Wrackteilen zum letzten Mal zu betrachten. Das Haus, auf das er stolz war. In der die Familie lebte, auf die er stolz war.
    Der Weg würde lang werden. Und vielleicht würde er sein Ziel nicht erreichen. Obwohl der Eskimo-Schamane wußte, daß das Erreichen des Ziels für ihn sehr wichtig war. Nein, das stimmte nicht. Er selbst war unwichtig. Aber sein Ziel war wichtig. Und die Durchführung eines Auftrags, den er nicht kannte.
    Der Eskimo-Schamane war sich klar darüber, daß er nicht zum ersten Mal lebte. Diese Vorstellung beunruhigte ihn ebensowenig wie die Gewißheit, daß er nur ein kleines Rädchen im Getriebe der Welt war, daß aber seine Handlung, sein Einsatz, so gering er auch sein mochte, ausreichen würde, die Welt zu verändern. Zu einer besseren Welt.
    Er folgte dem Ruf. Er war die Nummer Null, gewissermaßen der integrierende Faktor, der Katalysator.
    Der Eskimo-Schamane verabschiedete sich von seiner Familie und sagte: »Heute beginnt die Nacht früher als der Tag, die Nacht wird dem Tag weichen, und der Tag wird sich umdrehen, und alles wird anders sein. Wir alle werden warten auf ein Ende, das ein Anfang sein kann.«
    Der Achsensprung hatte stattgefunden.
    »Gestern war ich noch jung«, sagte der Eskimo-Schamane zu seiner Familie, die schwieg, wenn er sprach (was selten vorkam). »Heute bin ich alt wie ein Baum. Diesen Baum werde ich suchen, weil er mich ruft.«
    Die Familie küßte ihn nach dem Brauch ihres Volkes und drückte damit alle Zuneigung und Hochachtung aus, zu der eine Familie fähig sein kann. Die Frau wusch ihm in einer rituellen Handlung die Füße, in lauwarmem Wasser, das sie in ihrem Munde erwärmte. Sie wußte, daß es das letzte Mal sein würde.
    Der Eskimo-Schamane suchte sich seine besten Schlittenhunde zusammen, gab seiner Frau all das Geld, das er besaß, daß sie niemals Mangel leiden würde, nahm seinen Schlitten …
    … und der Tag hing wie eine graue Glocke über dem aufstiebenden Schnee des Mannes, der sich entfernte.

IV
    Mayor wurde in den Operationssaal zurückgeschafft. Das Mädchen mit der sanften Stimme schob seine Bahre, und der Söldner wunderte sich, daß dies ein Mensch mit Muskelkraft besorgte.
    »Schwester Jana«, sagte er mit schwacher Stimme.
    »Ja?«
    »Was macht ihr mit mir, ihr Verbrecher?«
    »Sie dürfen nicht so mit mir reden, Söldner …«
    »Ich heiße Mayor!«
    »Kein Mensch heißt Mayor, Mayor.«
    »Wenn einem kein Name mehr bleibt, verdammt noch mal, bleibt einem wenigstens der Titel!«
    »Sie sollten nicht so fluchen, Mayor.«
    »Jana, wer bist du? Warum schiebst du meinen Wagen?«
    Zögern. Die sanfte Stimme hatte Schwierigkeiten, sich zu artikulieren.
    »Ich gehöre nicht hierher, Mayor. Ich kann es dir jetzt nicht erklären. Wir sind fast da. Vielleicht kann ich es dir später sagen.«
    »Wenigstens etwas«, knurrte der Soldat, und schon waren sie wieder in dem gleißenden weißen Raum, mit dem Klappern der blitzenden Instrumente und den knappen Befehlen.
    Mit vollem Bewußtsein erlebte Mayor, wie sie die Klemmen abnahmen, das geronnene Blut entfernten und innerhalb von wenigen Stunden ihm eine neue Hand annähten.
    Eine Pseudohand. Eine Hand, die nicht zu ihm gehörte.
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