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Die Teeprinzessin

Titel: Die Teeprinzessin
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Hauch von Tee spüren?
    Als Versteck oder zum Träumen eignete sich der Zwischenstock allerdings überhaupt nicht, denn ungefähr in der Mitte gab es eine Öffnung im Boden, durch die die Waren hinaufgezogen wurden. Während die übrigen Lagerhäuser über Flaschenzüge an den Giebeln vollgeladen wurden, war es dem empfindlichen Tee offenbar nicht zuzumuten, längere Zeit an der freien Luft herumzuschweben und sich dabei womöglich mit den Gerüchen des Straßenlebens zu vermählen.
    Der niedrige Raum stand seit Monaten völlig leer. Daher hatte sich wohl auch niemand die Mühe gemacht, die Bodenklappe wieder einzusetzen. China lieferte wegen des Opiumkrieges kaum noch, und wenn, dann waren es wohl keine Teequalitäten, die besonderen Schutz verdienten. Die Teegärten in Assam wurden von den Engländern kontrolliert, die auf ihrer Teebörse in London die Preise hochtrieben, in Java hockten die Holländer und ließen für den eigenen Bedarf pflücken. Und aus Japan kam alle Jubeljahre mal genug für ein Tässchen voll, wie Teehändler Asmussen es immer ausdrückte. Das hinderte seine Großtante Henny von Mux allerdings nicht daran, ihren Großneffen immer wieder nach japanischem Schattentee zu fragen, den sie nur einmal im Leben gekostet habe. Dass die Japaner ihr Land erst vor Kurzem für den Handel geöffnet hatten und dass bislang noch kein einziges Schiff aus dem Land der Kirschblüten Europa angelaufen hatte, war Tante Henny egal.
    »Hör nicht hin. Sie ist einfach nur teesüchtig«, flüsterte Anton manchmal, wenn sie bei der alten Dame in ihrem Salon saßen und die schon wieder von ihrem Schattentee begann. »Lass uns lieber über Fotografie reden!«

    Es war ein Drama. Betty seufzte. Anton interessierte der Teehandel seines Vaters überhaupt nicht. Und dabei war es doch schon köstlich, sich einfach nur vorzustellen, dass ein winziges Teeblättchen um die halbe Welt gereist war, um sich dann in einer Tasse zu entfalten, im Strom heißen Wassers herumzuwirbeln, sich etwas aufzublähen, auf den Grund zu sinken und zur Vollkommenheit zu gelangen.
    »Betty! Hör auf zu träumen!« Anton drückte die Tür millimeterweise auf und schob Betty auf den Zwischenboden. Dann schloss er leise die Tür hinter sich, ließ sich auf den Boden sinken und robbte zu dem Loch im Boden. Betty runzelte die Stirn.
    Tief unten befand sich das Kontor von Asmussens Teehandelshaus. Von dort hörte man jetzt tatsächlich Stimmen. Hatte der Teehändler um diese frühe Stunde bereits Besuch? Anton machte eine Bewegung mit dem Kopf. Was meinte er damit? Sollte Betty sich etwa auch auf den Boden legen und ebenfalls auf die Öffnung zurobben? In ihrem hellen Sommerkleid? Um heimlich dem Gespräch zu lauschen? Sie schüttelte so wild den Kopf, dass sich ihre feine Silberspange löste und mit einem leisen Klackern über den Boden hüpfte. Warum hielt das dumme Ding seit Tagen nicht mehr richtig? Und warum war sie noch nicht zu ihrem Vater gegangen, um ihn zu bitten, den Mechanismus der Spange etwas nachzuziehen?
    Ihre langen Locken fielen sofort bis weit über die Schultern, so als wäre sie gerade erst aufgestanden. Sie schnalzte verärgert mit der Zunge. Sofort erstarb das Gespräch unten. Anton legte den Finger auf die Lippen und zog eine Grimasse. Die Stimmen unten schwollen wieder an. Betty seufzte und ließ sich langsam neben Anton zu Boden gleiten. Dann robbten sie Schulter an Schulter weiter an die Öffnung im Boden heran.

    »Man horcht aber nicht!«, flüsterte Betty. »Das mache ich nicht mit!«
    »Pst, hör zu, dann siehst du das alles gleich ganz anders«, flüsterte Anton zurück.
    Betty rutschte zentimeterweise voran. Der Boden unter ihren Händen war warm und glatt, und er duftete noch immer nach der kostbaren Ware, die er gehalten hatte. Betty schloss für einen Moment die Augen. Sie konnte die würfelförmigen Holzkisten spüren, die geheimnisvollen Aufschriften, den Hauch des festen Leinens, in das die besten Partien eingewickelt waren.
    Der Klang der beiden Männerstimmen drang jetzt direkt an ihre Ohren. Da war die knarrende und immer etwas aufgebrachte Stimme von Albert Asmussen, der offenbar zu einem seiner ausführlichen Vorträge über die Schwierigkeiten des Teehandels in China angesetzt hatte. Betty spürte, wie Anton neben ihr unruhig umherrutschte. Dieser Teil des Gespräches interessierte ihn ganz gewiss nicht. Betty indes wusste, was der alte Asmussen erklären wollte, sie hatte ihm unzählige Male zugehört und
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