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Die Teeprinzessin

Titel: Die Teeprinzessin
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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sagen hören. Das gehörte sich doch nun wirklich nicht. Sie rutschte noch ein Stückchen voran.
    »Du hast ja Gänsehaut auf den Armen«, flüsterte Anton, der direkt neben ihr lag. »Kommt das von seiner Stimme oder von dem, was er sagt?« Er schüttelte sich. »Vater wird ihn hoffentlich achtkantig rauswerfen. Oder glaubst du, Vater könnte mich wirklich mit ihm fortschicken?«
    »Ich weiß nicht«, flüsterte Betty. »Irgendwie kommt mir das alles merkwürdig vor.«
    »Mir auch«, entgegnete Anton. »Kannst du ihn sehen? Wie sieht er aus? Ist er ein stattliches Mannsbild? Du wirst ihn doch nicht stattlich finden?«
    »Hör damit auf und sei endlich leise!«, raunte Betty und versetzte ihm einen Knuff.
    Einen Moment lang verstummte die schöne Stimme unter ihnen. Betty zuckte von der Bodenöffnung zurück. Sie konnte fast körperlich spüren, wie die beiden Männer, die doch etwas gehört haben mussten, nun zur Decke hinaufsahen. Aber sie war sich auch sicher, dass sie sie nicht entdeckt hatten. Soweit sie sich erinnerte, war die Kontordecke unter ihr fast schwarz. Da würde man nichts erkennen können, es sei denn, man hätte besonders gute Augen.
    »Gut, ich sehe mir Ihren Wundertee an«, gab Asmussen nun nach. »Aber glauben Sie ja nicht, dass ich mich an Ihrem seltsamen Geschäft in Darjeeling beteiligen werde! Oder jeman den aus meiner Familie dort hinschicke. Selbst wenn ich es könnte, würde ich es nicht tun! Wenn Sie Pioniere aus Europa für Ihr waghalsiges Unternehmen brauchen, dann fahren Sie nach England. Dort haben die Leute alle ein halbes Dutzend Söhne, da dürfte es weniger auffallen, wenn einer nicht aus Indien zurückkehrt. Aber ich habe nur einen Sohn! Den werde
ich ganz gewiss nicht auf eine Expedition in so ein Land schicken!«
    »Was meint er damit nun schon wieder?«, flüsterte Anton. »Das klingt ja fast schon freundlich!«
    »Pst!« Betty konnte nun deutlich heraushören, dass der alte Asmussen seinen Besucher nur möglichst bald wieder loswerden wollte.
    »Dann öffnen Sie endlich die Kiste und zeigen mir die Ware«, dröhnte Asmussen. »Ich hab schließlich nicht den ganzen Tag lang Zeit für solchen Unsinn.«
    Betty hatte erwartet, dass sie nun das Scharren einer Teekiste hören würde, die über den Steinboden des Kontors geschoben wurde. Oder stand die Kiste bereits neben den Männern? Hatte man sie schon geöffnet? Und spürte man nicht bereits, dass der fremde Tee einen ganz besonderen Hauch verströmte? Betty rutschte weiter voran, so weit, bis sie fast mit dem halben Oberkörper in der Luke hing und gut nach unten lugen konnte. Was war das für ein zarter Duft? Sie kräuselte ihre Nase.
    Anton hielt sie am Kleid fest. »Pass auf«, zischte er. »Nicht dass die dich sehen!«
    Soweit Betty feststellen konnte, stand nur Asmussen unten in der Mitte des Kontors. Er hatte der schweren Teekiste einen der fein gewebten Leinensäcke entnommen, die den Tee zusätzlich schützen sollten. Zumindest der kleine Beutel sah vollkommen gewöhnlich aus. Nun öffnete er ihn, nahm langsam eine Handvoll der graugrünen Blätter und schnupperte daran. Betty konnte den Duft des Tees jetzt fast auf der Zunge spü ren, so stark war er. Aber wo war der fremde Mann? Sie beugte sich noch weiter vor. In diesem Moment trat der Fremde wieder auf Asmussen zu. Von hier oben konnte sie sehen, dass er halblange, dunkle Haare hatte. Und dass er groß und elegant
gekleidet war. Er beobachtete ruhig, wie der Teehändler den Tee untersuchte.
    Asmussen war so sehr mit dem Tee und mit sich selbst beschäftigt, dass Betty es riskierte, sich noch ein kleines Stückchen weiter vorzubeugen.
    »Das ist ja doll!«, ließ Asmussen nun vernehmen. »Das ist wirklich doll!«
    Was meinte er nur? War es der Duft der Teeblätter? Oder sahen sie auch noch anders aus als der gewöhnliche China tee? Betty hätte auch zu gern gewusst, ob seine Blättchen sich klein und zart anfühlten oder eher groß und fest. Sie beugte sich noch ein Stückchen weiter hinunter. Die alte Henny von Mux hatte ihr erst kürzlich von dem Weißen Tee erzählt, der angeblich am Hofe des Kaisers von China getrunken wurde. Und dass ein Geheimnis ihn umwehte.
    Ob der Darjeelingtee vielleicht so etwas Ähnliches wie Wei ßer Tee war? Sah er wirklich weiß aus? Sein Duft war jedenfalls ganz und gar unvergleichlich, zart und frisch und irgendwie verheißungsvoll. Betty beugte sich weiter vor, ihr Hals schmerzte bereits, aber sie konnte nicht mehr viel sehen. Ihre
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