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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
Autoren: David Mitchell
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Steine zurück in die Schalen.
    «Sorgen Sie dafür», sagt Shiroyama zu Tomine, «dass mein Sohn das Go-Spiel erhält.»

    Shiroyama deutet auf die rote Kürbisflasche. «Ich danke Ihnen für den Sake, Fürstabt.»
    «Ich danke Ihnen, dass Sie meine Sicherheitsmaßnahmen achten, selbst jetzt noch, am Ende, Statthalter.»
    Shiroyama horcht auf einen Anflug von Ironie in Enomotos Stimme, aber es ist nichts zu hören.
    Der Novize leert die rote Kürbisflasche in die vier schwarzen Schalen.
    Im Saal der Sechzig Matten ist es still wie auf einem vergessenen Friedhof.
    Meine letzten Minuten , denkt der Statthalter, während er den umsichtigen Novizen beim Einschenken beobachtet.
    Ein verirrter schwarzer Schwalbenschwanz fliegt über den Tisch.
    Der Novize reicht dem Statthalter eine Schale. Dann bedient er seinen Herrn und Tomine und kehrt mit der letzten Schale auf sein Sitzkissen zurück.
    Um sich nicht durch erwartungsvolle Blicke zu verraten, stellt sich Shiroyama die gepeinigten Seelen vor - zehn, zwanzig, Hunderte? -, die sie aus dunklen Winkeln rachedurstig anstarren. Er hebt den Becher. «Leben und Tod sind untrennbar.»
    Die anderen drei wiederholen die abgedroschenen Worte. Der Statthalter schließt die Augen.
    Seine Lippen berühren die raue Ascheglasur der Sakurajima-Schale.
    Der scharfe Alkohol brennt in seinem Mund ...
    ... und hinterlässt einen fruchtigen Nachklang ... unbeeinträchtigt von dem Zusatz.
    Mit geschlossenen Lidern hört er den getreuen Tomine trinken ...
    ... nicht aber Enomoto und den Novizen. Er wartet. Sekunden verstreichen.
    Verzweiflung packt den Statthalter. Enomoto weiß von dem Gift.
    Wenn er die Augen öffnet, wird sarkastischer Spott ihn empfangen.
    Unsere Vorbereitungen, unser Einfallsreichtum, Tomines entsetzliches Opfer: alles vergeblich.
    Er hat Orito, Ogawa und de Zoet enttäuscht, und all die Seelen, denen Unrecht widerfahren ist.
    Hat Tomines Vermittler uns verraten? Oder der chinesische Apotheker?
    Soll ich mich mit dem rituellen Schwert auf den Teufel stürzen?
    Er öffnet die Augen, um die Lage abzuschätzen: Enomoto trinkt und senkt den Becher ...
    ... und der Novize folgt dem Beispiel seines Herren.
    Shiroyamas Verzweiflung verflüchtigt sich und macht einer nüchternen Tatsache Platz.
    In zwei Minuten wissen sie es, in vier Minuten sind wir tot. «Würden Sie bitte das Tuch ausbreiten, Kammerherr? Dort drüben ...»
    Enomoto hebt die Hand. «Diese Arbeit kann mein Novize erledigen.»
    Sie sehen zu, wie der junge Mann das große Tuch aus weißem Hanf ausbreitet. Es dient dazu, das Blut des Entleibten aufzusaugen und den Leichnam zu bedecken, heute aber soll es Enomoto vom wahren Spielausgang ablenken, während ihre Körper den Sake in sich aufnehmen.
    «Soll ich ein Mantra der Erlösung sprechen?», fragt der Fürstabt.
    «Wenn es Erlösung gibt», antwortet Shiroyama, «so ist sie jetzt bei mir.» Enomoto erwidert nichts, nimmt aber das Schwert an sich. «Wie möchten Sie Ihr Seppuku ausführen, Statthalter? Durch einen Bauchschnitt mit dem Tantō-Messer oder auf moderne Weise durch eine symbolische Berührung mit Ihrem Fächer?»
    Taubheit breitete sich in Shiroyamas Fingern und Zehen aus.
    Jetzt fließt das Gift in unseren Adern. «Vorher, Fürstabt, habe ich eine Erklärung abzugeben.»
    Enomoto legt das Schwert auf den Knien ab. «In welcher Angelegenheit?»
    «Darüber, dass wir vier in drei Minuten tot sein werden.» Der Fürstabt sucht in Shiroyamas Gesicht nach einer Bestätigung, dass er sich verhört hat.
    Der gut ausgebildete Novize erhebt sich, geht in Kauerstellung und blickt sich in dem stillen Saal nach Gefahren um.
    «Dunkle Gefühle», Enomoto spricht voller Nachsicht, «mögen in dieser schweren Stunde Ihr Herz trüben, Statthalter, aber Sie müssen an Ihren Nachruhm -»
    «Still, wenn der Statthalter sein Urteil spricht!», gebietet der Kammerherr mit der ganzen Autorität seines Amtes.
    Enomoto sieht den älteren Mann entgeistert an. «Wie können Sie es wagen, in diesem -»
    «Fürstabt Enomoto-no-kami», Shiroyama weiß, dass nur noch wenig Zeit bleibt, «Daimyō des Lehens Kyōga, Hohepriester des Shiranui-Schreins, kraft der mir vom erhabenen Shōgun verliehenen Vollmacht befinde ich Sie in folgenden Anklagepunkten für schuldig: schuldig des Mordes an dreiundsechzig Frauen, die hinter der Harubayashi-Herberge an der Ariake-Straße begraben sind, der Verschleppung und Gefangenhaltung der Schwestern des Shiranui-Schreins sowie des vielfachen
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