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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
Autoren: David Mitchell
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Genroku-Zeit - etwa ab 1690, rechnet Jacob - lassen sich die Inschriften zunehmend besser entziffern. Jonas Terpestra, dem Namen nach ein Friese, starb zu Beginn des letzten Jahrhunderts im ersten Jahr der Höei-Zeit, Klaas Oldewarris wurde in den 1750ern, im dritten Jahr der Hōryaku-Zeit, zu seinem Schöpfer gerufen, Abraham van Doeselaar, wie Jacob ein Zeeländer, starb im neunten Jahr der An’ei-Zeit, zwei Jahrzehnte bevor die Shenandoah in den Hafen von Nagasaki segelte. Er kommt ans Grab des jungen Mischlings, der von der englischen Fregatte fiel und der nach seinem Tod von Jacob auf den Namen «Jack Farthing» getauft wurde, und an das Grab Wybo Gerritszoons, der vor neun Jahren, im vierten Jahr der Kyōwa-Zeit, an einem «Unterleibsriss» starb: Marinus vermutete einen Blinddarmdurchbruch, aber er hielt sich an sein Versprechen, den Leichnam nicht aufzuschneiden, um die Todesursache zu ermitteln. Jacob erinnert sich gut an Gerritszoons aggressives Wesen, aber kaum an sein Gesicht.
    Dr. Marinus hat seine letzte Ruhestätte erreicht.
    Auf dem Grabstein steht in japanischer und lateinischer Schrift: DR. LUCAS MARINUS, ARZT UND BOTANIKER, GESTORBEN IM 7. JAHR DER BUNKA-ZEIT. Der Sarg wird abgesenkt, und die Priester stimmen ein Mantra an. Jacob zieht den Schlangenlederhut und spricht als Kontrapunkt zu den heidnischen Gesängen stumm einige Verse aus dem hunderteinundvierzigsten Psalm. «Ihre Gebeine werden zerstreut bis zur Pforte des Todes ...»
    Noch vor einer Woche war Marinus rüstig wie eh und je.
    «... wie wenn einer das Land pflügt und zerwühlt. Ja, auf dich, HERR, sehen meine Augen ...»
    Am Mittwoch verkündete er dann, dass er am Freitag sterben werde.
    «... ich traue auf dich, gib mich nicht in den Tod dahin.»
    Ein langsam wachsendes Aneurysma in seinem Hirn, sagte er, trübe seine Sinne.
    «Mein Gebet möge vor dir gelten als ein Räucheropfer ...»
    Er wirkte so wohl und unbeschwert, als er sein Testament niederschrieb.
    «... das Aufheben meiner Hände als ein Abendopfer.»
    Jacob glaubte ihm nicht, aber am Donnerstag blieb der Arzt im Bett.
    «Denn des Menschen Geist muss davon», steht im hundertsechsundvierzigsten Psalm, «und er muss wieder zu Erde werden ...»
    Er sei eine Grasschlange, die sich häute, scherzte Marinus.
    «... dann sind verloren alle seine Pläne.»
    Am Freitag hielt er einen Mittagsschlaf, aus dem er nicht mehr erwachte.
    Die Priester haben den Gesang beendet. Die Blicke der Trauergäste wenden sich dem Faktor zu.
    «Vater», sagt Yūan auf Niederländisch, «du darfst jetzt ein paar Worte sprechen.»
    Die obersten Akademiemitglieder stehen in der Mitte, links etwa fünfzehn von Marinus’ ehemaligen und gegenwärtigen Famuli, rechts die Hochgestellten und Neugierigen, vereinzelte Spitzel, Mönche aus dem Tempel und einige andere, die Jacob nicht genauer in Augenschein nimmt.
    «Zunächst», sagt er auf Japanisch, «möchte ich Ihnen allen aufrichtig danken ...»
    Ein Windstoß schüttelt die Bäume, und dicke Tropfen klatschen auf die Schirme.
    «... dass Sie der Regenzeit getrotzt haben, um Abschied von unserem Kollegen zu nehmen ...»
    Ich werde erst spüren, dass er tot ist , denkt Jacob, wenn ich wieder auf Dejima bin und ihm vom Tempel auf dem Inasa erzählen will ...
    «... bevor er seine letzte Reise antritt. Ich spreche den Priestern des Tempels meinen Dank dafür aus, dass sie meinem Landsmann eine Ruhestätte bieten und mir gestattet haben, dass ich an diesem Vormittag in ihr Heiligtum eindringe. Bis zum Schluss tat der Herr Doktor, was er am liebsten tat: lehren und lernen. Und so wollen wir Lucas Marinus als ...»
    Jacob bemerkt zwei Frauen unter großen Schirmen. Die jüngere - eine Dienerin? - trägt eine Kapuze, die ihre Ohren verbirgt.
    Ihre ältere Begleiterin trägt ein Kopftuch, das ihre linke Gesichtshälfte bedeckt ...
    Jacob hat vergessen, was er sagen wollte.

    «Es ist sehr freundlich von Ihnen, dass Sie gewartet haben, Aibagawa-sensei ...» Es gab eine Spende an den Tempel zu entrichten und höfliche Worte mit den Gelehrten zu wechseln, und Jacob hat sich gleichermaßen davor gefürchtet, sie könnte gegangen sein wie davor, sie könnte geblieben sein.
    Und jetzt stehst du vor mir , er sieht sie an, du bist es wirklich, du bist wirklich hier.
    «Es ist selbstsüchtig», sagt sie auf Japanisch, «dass ich mich dem vielbeschäftigten Herrn Faktor aufdränge, obwohl ich nur flüchtig seine Bekanntschaft gemacht habe, und das vor so langer Zeit
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