Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
Autoren: David Mitchell
Vom Netzwerk:
bestialischen Mordes an den von Ihnen und Ihren Mönchen mit genannten Frauen gezeugten Kindern. Sie werden für diese Verbrechen mit Ihrem Leben bezahlen.»
    Das gedämpfte Klappern von Pferdehufen dringt in den abgeschirmten Saal.
    «Es ist schmerzlich zu sehen», Enomoto ist ungerührt, «dass ein einst so edler Geist -»
    «Leugnen Sie Ihre Taten? Oder glauben Sie, Sie seien vor Strafe geschützt?»
    «Ihre Fragen sind niederträchtig. Ihre Anschuldigungen verdienen Abscheu. Die Vorstellung, Sie, ein in Ungnade gefallener Amtsträger, könnten mich - mich! - bestrafen, zeugt von geradezu lachhafter Eitelkeit. Komm, Novize, wir müssen diese erbärmliche Vorstellung verlassen und -»
    «Warum haben Sie an einem warmen Tag wie heute so kalte Hände und Füße?»
    Das verächtliche Lächeln weicht aus Enomotos Gesicht, und düster blickt er auf die rote Kürbisflasche.
    «Ich habe sie nicht einen Augenblick aus den Augen gelassen, Meister», sagt der Novize. «Es wurde nichts hineingeschüttet.»
    «Zuerst», sagt Shiroyama, «erläutere ich Ihnen meine Beweggründe. Als uns vor zwei, drei Jahren zu Ohren kam, dass in einem Bambushain hinter der Harubayashi-Herberge Leichen vergraben seien, schenkte ich diesen Gerüchten nur wenig Beachtung. Gerüchte sind keine Beweise, Ihre Freunde in Edo sind mächtiger als meine, und was ein Daimyō im Verborgenen treibt, geht für gewöhnlich niemanden etwas an. Als Sie aber die Hebamme verschwinden ließen, die das Leben meiner Konkubine und meines Sohnes gerettet hatte, wuchs mein Interesse am Shiranui-Schrein. Der Fürst von Hizen stellte mir einen Spitzel zur Verfügung, der haarsträubende Geschichten über Nonnen erzählte, die aus Ihrem Kloster ausschieden. Dass er bald darauf ermordet wurde, bestätigte seine Berichte, und als ein gewisses Zeugnis in einer Hartriegelschatulle -»
    «Der Abtrünnige Jiritsu war eine Natter, die sich gegen den Orden gewendet hat.»
    «Und Ogawa Uzaemon wurde selbstverständlich von Bergbanditen getötet, nicht wahr?»
    «Ogawa war ein niederträchtiger Spitzel, der wie ein niederträchtiger Spitzel gestorben ist.» Enomoto erhebt sich, taumelt, fällt zu Boden und knurrt: «Was - was haben Sie -»
    «Das Gift greift die Muskulatur an. Zuerst lähmt es die Extremitäten, zum Schluss Herz und Zwerchfell. Es wird aus den Giftdrüsen einer Baumschlange gewonnen, die man nur in einem Flussdelta in Siam findet. Sie heißt die Vier-Minuten-Schlange. Studierte Apotheker wissen, warum. Das Gift ist immer tödlich - und außergewöhnlich schwierig zu bekommen, aber Kammerherr Tomine verfügt über außergewöhnlich gute Verbindungen. Wir haben es an einem Hund ausprobiert, der ... wie lange überlebte, Kammerherr?»
    «Weniger als zwei Minuten, Exzellenz.»
    «Ob der Hund an innerem Blutverlust starb oder erstickt ist, werden wir gleich erfahren. Meine Knie und Ellbogen sind bereits taub.»
    Enomoto setzt sich mit Hilfe des Novizen auf.
    Der Novize fällt selbst und windet sich wie eine abgeschnittene Marionette auf dem Boden.
    «In einer Flüssigkeit», fährt der Statthalter fort, «besonders in einer alkoholischen wie Sake, löst sich das Gift augenblicklich auf. An der Luft aber verhärtet es sich zu hauchdünnen, transparenten Schuppen. Darum die Schalen mit der rauen Ascheglasur - zur Tarnung der Giftkristalle. Dass Sie meine Offensive auf dem Go-Brett durchschaut, diese simple List aber übersehen haben, rechtfertigt meinen Tod mehr als hinreichend.»
    Enomoto, das Gesicht zu einer Grimasse aus Wut und Angst verzerrt, greift zum Schwert, aber sein Arm ist schon steif und gefühllos, und er kann es nicht aus der Scheide ziehen. Er starrt ungläubig auf seine Hand und fegt mit einem kehligen Knurren die Sakeschale vom Tisch.
    Die Schale hüpft über den Fußboden wie ein Stein über dunkles Wasser.
    «Wenn Sie wüssten, Shiroyama, Sie Schmeißfliege, was Sie getan haben ...»
    «Ich weiß, dass die Seelen der unbeweinten Frauen, die hinter der Harubayashi-Herberge begraben sind ...»
    «Diese entstellten Huren waren von Geburt an dazu verurteilt, in der Gosse zu enden!»
    «... dass diese Seelen jetzt ihren Frieden finden. Der Gerechtigkeit wurde Genüge getan.»
    «Der Shiranui-Orden hat ihr Leben nicht verkürzt, er hat es verlängert!»
    «Damit Sie ‹Gaben› züchten konnten, um Ihren Wahnsinn zu nähren?»
    «Wir säen unsere Früchte und ernten sie! Wir können damit machen, was uns beliebt!»
    «Ihr Orden sät Grausamkeit im Dienste
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher