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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
Autoren: David Mitchell
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am 20. Juli 1799, im Beisein von Kapitän Anselm Lacy von der Shenandoah , Daniel Snitker, amtierender Faktor der oben genannten Handelsstation, in folgenden Punkten für schuldig: schwere Vernachlässigung der Dienstpflicht ...»
    «Ich habe meine Dienstpflicht», fällt Snitker ihm ins Wort, «in allen Bereichen erfüllt!»
    «‹Dienstpflicht›?» Vorstenbosch gibt Jacob ein Zeichen, innezuhalten. «Unsere Speicher sind zu Asche verbrannt, während Sie sich im Bordell mit Huren vergnügt haben! - Ein Umstand, der in dem Lügensammelsurium, das Sie als Ihr Journal bezeichnen, keine Erwähnung findet, und ohne die zufällige Bemerkung eines japanischen Dolmetschers ...»
    «Dreckiges Geschmeiß, das mich verleumdet, weil ich den Hunden auf die Schliche gekommen bin!»
    «Ist es auch eine Verleumdung, dass in der Brandnacht auf Dejima die Feuerspritze verschwunden war?»
    «Vielleicht hat der Beschuldigte sie mit ins Haus der Glyzinien genommen», merkt Kapitän Lacy an, «um die Damen mit seinem dicken Schlauch zu beeindrucken.»
    «Die Feuerspritze», protestiert Snitker, «gehörte in van Cleefs Verantwortungsbereich»
    «Ich richte Ihrem Stellvertreter aus, wie loyal Sie ihn verteidigt haben. Zum nächsten Anklagepunkt, Herr de Zoet: ‹Missachtung der Vorschrift, die Frachtbriefe der Octavia von den drei höchsten Beamten der Faktorei unterzeichnen zu lassen.›»
    «Ach, Herrgott noch mal. Eine bürokratische Unachtsamkeit, weiter nichts.»
    «Eine ‹Unachtsamkeit›, die es korrupten Faktoreileitern ermöglicht, die Kompanie auf hundertfache Weise zu prellen, nicht umsonst besteht Batavia auf dreifache Bestätigung. Nächster Punkt: ‹Unterschlagung von Kompaniegeldern zur Bezahlung privaten Frachtguts›.»
    «Also das», faucht Snitker zornig, « das ist eine glatte Lüge!»
    Vorstenbosch entnimmt der Reisetasche zu seinen Füßen zwei Porzellanfiguren im fernöstlichen Stil. Die eine stellt einen Henker dar, der die Axt schwingt, um die zweite zu enthaupten, einen knienden Gefangenen mit gefesselten Händen, den Blick schon in die nächste Welt gerichtet.
    «Warum», fragt Snitker dreist, «zeigen Sie mir diesen Tinnef?»
    «Zwei Gros davon wurden in Ihrem privaten Frachtgut gefunden, das heißt - fürs Protokoll - ‹vierundzwanzig Dutzend Figuren aus Arita-Porzellan›. Meine verstorbene Frau hatte eine Schwäche für japanische Kuriositäten, daher kenne ich mich ein wenig aus. Kapitän Lacy, seien Sie so nett und schätzen Sie ihren Wert in, sagen wir, einem Wiener Auktionshaus.»
    Kapitän Lacy überlegt. «Zwanzig Gulden pro Stück?»
    «Allein die kleinen hier sind fünfunddreißig Gulden wert; die blattvergoldeten Kurtisanen, Bogenschützen und Adeligen fünfzig. Welchen Preis erzielen also zwei Gros? Wir wollen niedrig schätzen - Europa befindet sich im Krieg, die Märkte schwanken - und fünfunddreißig pro Figur veranschlagen ... multipliziert mit zwei Gros, de Zoet?»
    Jacob hat den Abakus schon zur Hand. «Zehntausendundachtzig Gulden, Herr Vorstenbosch.»
    Lacy wiehert beeindruckt auf.
    «Ein stolzer Gewinn», stellt Vorstenbosch fest, «für Ware, die auf Kosten der Kompanie erworben wurde, in den Frachtbriefen aber - selbstverständlich unbeglaubigt - als ‹privates Porzellan des amtierenden Faktors› verzeichnet ist, und zwar in Ihrer Handschrift, Snitker.»
    «Mein Vorgänger, Gott hab ihn selig», Snitker ändert seine Geschichte, «hat sie mir vor dem Empfang bei Hofe vermacht.»
    «Dann hat Herr Hemmij sein Ableben auf der Rückreise von Edo also vorausgesehen ?»
    «Gijsbert Hemmij war nun mal ein außerordentlich weitsichtiger Mensch.»
    «Dann zeigen Sie uns sein außerordentlich weitsichtiges Testament.»
    «Das Testament», Snitker wischt sich über den Mund, «wurde beim Brand vernichtet.»
    «Wer kann das bezeugen? Herr van Cleef? Fischer? Der Affe?»
    Snitker seufzt angewidert. «Das ist doch kindische Zeitverschwendung. Schneiden Sie sich Ihren Zehnten ab - aber nicht ein Fitzchen mehr, oder, bei Gott, ich schmeiße den ganzen Krempel ins Hafenbecken!»
    Der Lärm eines Zechgelages hallt von Nagasaki herüber.
    Kapitän Lacy schnäuzt sich die fleischige Nase mit einem Kohlblatt.
    Jacobs fast verbrauchte Feder schließt auf. Seine Hand schmerzt.
    «Was, frage ich mich ...», Vorstenbosch macht ein ratloses Gesicht, «hat es nur mit diesem ‹Zehnten› auf sich? Herr de Zoet, können Sie uns vielleicht Aufschluss geben?»
    «Herr Snitker versucht, Sie zu bestechen, Herr
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