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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
Autoren: David Mitchell
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«Das ... wäre möglich.»
    «Mein Vater hat erzählt», sagt Orito, «Dr. Uragami habe die Geburt beaufsichtigt.»
    «Das hat er auch getan», brummt Maeno, «allerdings bequem von seinen Behandlungsräumen aus. Als das Kind zu strampeln aufhörte, konstatierte Uragami, dass seine Seele sich aus Gründen der Geomantik gegen die Geburt sträube, ein Phänomen, das nur für einen Mann von seinen Geistesgaben zu erkennen sei. Alles hänge daher von der ‹Willenskraft› der Mutter ab.» Der Schweinehund - Maeno braucht es nicht auszusprechen - fürchtet sich davor, seinen Ruf zu schädigen, wenn er das Kind eines so erlauchten Mannes tot zur Welt bringt. «Daraufhin überzeugte Kammerherr Tomine den Statthalter, mich herbeizuholen. Als ich den Arm sah, fiel mir Ihr schottischer Arzt ein, und ich forderte Ihre Hilfe an.»
    «Mein Vater und ich fühlen uns durch Ihr Vertrauen tief geehrt», sagt Orito ...
    ... und ich verfluche Uragami , denkt sie, dass er sich in dieser lebensbedrohlichen Situation davor scheut, sein Gesicht zu verlieren.
    Die Frösche verstummen, und als hätte sich ein Geräuschvorhang gehoben, hört man plötzlich die Stadt Nagasaki, wo die wohlbehaltene Ankunft des niederländischen Schiffes gefeiert wird.
    «Wenn das Kind tot ist», sagt Maeno auf Niederländisch, «müssen wir es sofort herausholen.»
    «Ich bin ganz Ihrer Meinung.» Orito bittet den Haushalter um warmes Wasser und Stoffstreifen. Dann hält sie der Konkubine ein Fläschchen Riechsalz unter die Nase, um ihr einen klaren Moment zu verschaffen. «Fräulein Kawasemi, in wenigen Minuten holen wir Ihr Kind auf die Welt. Vorher muss ich wissen, darf ich Sie von innen abtasten?»
    Die nächste Wehe setzt ein, und die Konkubine kann vor Schmerz nicht antworten.
     
    Zwei Kupferwannen mit warmem Wasser werden gebracht, und die Wehe lässt nach. «Wir sollten offen sprechen», schlägt Dr. Maeno Orito auf Niederländisch vor, «und ihr sagen, dass der Fötus tot ist. Dann amputieren wir den Arm und holen den Leichnam heraus.»
    «Zuerst möchte ich mit meiner Hand ertasten, ob das Kind in Konvex- oder in Konkavlage liegt.»
    «Wenn Sie das herausfinden können, ohne den Arm abzuschneiden» - Maeno meint ‹amputieren› -, «dann tun Sie es.»
    Orito schmiert sich den Arm mit Rapsöl ein und wendet sich an die Zofe: «Falte einen Stoffstreifen zu einem dicken Stück ... ja, gut so. Halte dich bereit, es deiner Herrin zwischen die Zähne zu klemmen. So verhindern wir, dass sie sich die Zunge abbeißt. Lass an den Seiten ausreichend Luft, damit sie atmen kann. Dr. Maeno, ich beginne jetzt mit der Untersuchung.»
    «Sie sind meine Augen und meine Ohren, Fräulein Aibagawa.»
    Orito schiebt die Finger zwischen den Oberarm des Fötus und die gerissenen Schamlippen der Mutter, bis ihre Hand bis zum Gelenk in Kawasemis Vagina steckt. Die Konkubine zittert und stöhnt. «Verzeihung», sagt Orito, «Verzeihung ...» Ihre Finger gleiten zwischen warmer Schleimhaut, von Fruchtwasser glitschigem Muskelgewebe und Haut hindurch, während sie an einen Kupferstich aus dem aufgeklärten, barbarischen Reich Europa denkt ...

    Wenn das Kind in Konvexlage liegt, ruft sich Orito ins Gedächtnis, das heißt, wenn die Wirbelsäule so stark nach hinten gebogen ist, dass der Kopf wie bei einem chinesischen Akrobaten zwischen den Beinen hindurchschaut, muss sie den Arm amputieren, den Leichnam mit einer spitzen Zange zerlegen und ihn Stück für Stück herausziehen. Dr. Smellie weist darauf hin, dass jeder Überrest, der im Mutterleib verbleibt, verwest und zum Tode der Mutter führen kann. Wenn das Kind hingegen in Konkavlage liegt und die Knie an seine Brust drücken, dann kann sie den Arm vielleicht absägen, den toten Fötus drehen, Haken in die Augenhöhlen einfiihren und ihn mit dem Kopf voran in einem Stück herausziehen. Ihr Mittelfinger tastet die knubbelige Wirbelsäule, fährt über die Magengegend zwischen der untersten Rippe und dem Beckenknochen und stößt auf ein winziges Ohr, ein Nasenloch, einen Mund, die Nabelschnur und einen winzigen Penis. «Kindslage konkav», meldet Orito an Dr. Maeno, «aber die Nabelschnur hat sich um den Hals gewickelt.»
    «Glauben Sie, sie lässt sich lösen?» Maeno vergisst, Niederländisch zu sprechen.
    «Ich muss es versuchen. Bitte stecke deiner Herrin jetzt das Tuch in den Mund», sagt Orito zur Zofe.
    Als der Ballen fest zwischen Kawasemis Zähnen sitzt, führt Orito die Hand tiefer in ihren Unterleib, legt den
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