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Die Target-Falle: Gefahren für unser Geld und unsere Kinder (German Edition)

Die Target-Falle: Gefahren für unser Geld und unsere Kinder (German Edition)

Titel: Die Target-Falle: Gefahren für unser Geld und unsere Kinder (German Edition)
Autoren: Hans-Werner Sinn
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den Defiziten anderer Euroländer haben. Ein Leistungsbilanzüberschuss ist im Wesentlichen als Differenz von Exporten und Importen abzüglich der Transfers (Geschenke) an das Ausland und zuzüglich der Zinseinnahmen aus dem Ausland definiert. Abbildung 2.6 zeigt den deutschen Leistungsbilanzsaldo und den Saldo der Krisenländer Griechenland, Irland, Italien, Portugal, Spanien und Zypern, kurz GIIPSZ. Offenkundig folgt der deutsche Überschuss in etwa derselben Entwicklung wie das Defizit der GIIPSZ-Länder. Als der Euro 1995 beschlossen wurde, gab es noch keine nennenswerten Ungleichgewichte. Die Ungleichgewichte entwickelten sich aber in den darauffolgenden Jahren stürmisch, schossen bis in den Bereich von 200 Milliarden Euro pro Jahr hoch, und fielen dann in der Finanzkrise seit 2008 wieder.
    Aber hat Deutschland sich wirklich durch die Exportüberschüsse Vorteile verschafft und womöglich noch Vorteile zu Lasten anderer Länder? Nun, davon kann nicht die Rede sein. Nicht, weil ein Exportüberschuss schlecht ist, sondern weil der deutsche Exportüberschuss in der betrachteten historischen Phase nur eine Kompensation für die binnenwirtschaftliche Schwäche war und durch diese Schwäche selbst entstand.
    Da hierzulande nicht mehr genug investiert wurde und man das Kapital lieber im Ausland anlegte, kam Deutschland in die Flaute. Es fehlte an Binnennachfrage im Investitionsgüterbereich, vor allem im Bau, und es wurden nicht genug Arbeitsplätze geschaffen. Die deutschen Einkommen wuchsen nur noch wenig, und deswegen blieben auch die direkt davon abhängigen Importe im Trend gegenüber anderen Ländern zurück. Die Exporte indes, die ja Importe der anderen Länder sind, wuchsen mit den Einkommen dieser anderen Länder. Schon allein dadurch musste ein Exportüberschuss zustande kommen. Hinzu kam aber ein Schub für die Exporte, weil die deutsche Massenarbeitslosigkeit eine Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften erzwang, die durch die Agenda 2010 noch forciert wurde und die die deutschen Waren relativ zu den Waren des Auslands immer billiger machte. Deutschland durchlief eine sogenannte reale Abwertung durch Zurückbleiben seiner Inflation.
    In den Ländern der südlichen Peripherie war alles genau umgekehrt. Dorthin floss das Kapital, da gab es deshalb ein inflationäres Wachstum, mit dem Wachstum stiegen auch die Importe, und zugleich bedeuteten die steigenden Löhne und Preise, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Exporte unterminiert wurde.
    Dies ist das Gesetz des Kapitalismus. Wenn das Kapital von A nach B fließt, kommt A in die Flaute und B in den Boom. Das Boomgebiet erhöht seine Importe und senkt seine Exporte, weil es teurer wird, und im Flautegebiet ist es umgekehrt. Deutschland war das Flautegebiet, die europäische Peripherie war das Boomgebiet.  28 Das erklärt die deutschen Exportüberschüsse und den europäischen Tango nach Christine Lagarde, und es ist wahrlich kein Beleg für die These, dass die deutschen Exportüberschüsse Sondervorteile aus dem Euro signalisieren.

    Abbildung 2.6: Kapitalströme bzw. Leistungsbilanzsalden im Euroraum — der europäische Tango (1996–2011)

    GIPSZ: Griechenland, Irland, Portugal, Spanien, Zypern
    GIIPSZ: GIPSZ zuzüglich Italien.
    Quelle: Eurostat, Wirtschaft und Finanzen , Zahlungsbilanz – Internationale Transaktionen, Zahlungsbilanzstatistiken nach Land.
    Schon definitorisch ist der Kapitalexport eines Landes identisch mit dem Leistungsbilanzüberschuss dieses Landes. Insofern kann man die in der Abbildung 2.6 dargestellten Kurven nach Belieben als Leistungsbilanzsalden oder als Salden des (lang- und kurzfristigen) Kapitalverkehrs interpretieren. Kapitalströme und Leistungsbilanzsalden sind zwei Seiten derselben Medaille. Sie sind einander numerisch gleich, und sie bedingen sich wechselseitig.  29 Im Konjunkturzusammenhang, dem dauernden Auf und Ab der Wirtschaftswogen, schwanken die Exporte und Importe, und dieser Effekt erklärt dann die Kapitalbewegungen als Residuum. Bei Störungen im Gleichgewicht von der Art, wie sie durch die Einführung des Euro erzeugt wurden, war es aber umgekehrt. Hier erklärten die Kapitalströme die Wirtschaftstätigkeit und damit die Leistungsbilanzsalden, wie im nächsten Kapitel noch näher ausgeführt wird. Der Aderlass an Kapital, den Deutschland unter dem Euro erlitt, erzeugte die deutsche Eurokrise, und es war auf Heller und Pfennig genau dieser Aderlass, der durch die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse gemessen
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