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Die Täuschung

Die Täuschung

Titel: Die Täuschung
Autoren: Caleb Carr
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School in der City, und selbst sie, behauptete Mrs. Price, sei von »ihnen« bedroht worden.
    »Von wem?«, fragte ich schließlich, weil ich vermutete, es könnte sich um einen Fall von hysterischer Paranoia handeln. »Was wollen diese Leute? Und warum kommen Sie damit zu mir?«
    »Ich habe mich an ein Fernsehinterview erinnert, das Sie letztes Jahr gegeben haben«, antwortete sie und wühlte in ihrer Handtasche. »Ich habe es heruntergeladen. Verbrechen und Geschichte – das sind Ihre Fachgebiete, nicht wahr? Nun, hier bitte …« Sie brachte eine silbrige Computerdisk zum Vorschein und warf sie auf meinen Schreibtisch. »Sehen Sie sich das an. Das Original haben sie konfisziert, aber ich habe im Safe meines Mannes eine Kopie gefunden.«
    »Aber …«
    »Nicht jetzt. Ich wollte Ihnen nur die Disk bringen. Kommen Sie heute Abend zu mir nach Hause, wenn Sie glauben, dass Sie mir irgendwie helfen können. Hier ist die Adresse.«
    Ein Stück Papier flatterte mir auf den Schreibtisch, und weg war sie. Mir blieb nichts anderes übrig, als die Disk kopfschüttelnd ins Laufwerk meines Computers zu schieben.
    Ich brauchte eine ganze Minute, um mir die Bilder anzusehen, die auf das Ding gebrannt waren; dann griff ich aufgeregt und schockiert nach dem Telefon in meiner Tasche. Ich gab eine vertraute Ziffernfolge ein, bis mir Vera Prices Worte über »sie« wieder in den Sinn kamen. Ich brach den drahtlosen Anruf ab und griff zum Hörer des normalen Telefons auf meinem Schreibtisch. Wer immer »sie« auch sein mochten, das konnten sie nicht angezapft haben – noch nicht.
    Ich wählte die Nummer erneut, dann hörte ich eine mürrische Stimme: »Max Jenkins.«
    »Max«, sagte ich zu meinem ältesten Freund auf der Welt, einem ehemaligen New Yorker Polizisten, der mittlerweile als Privatdetektiv arbeitete. »Bleib, wo du bist.«
    »Was soll das heißen, ›bleib, wo du bist‹? Was ist das denn für ’ne Art, mit jemandem zu reden, verdammt noch mal, du blutleerer angelsächsischer Mistkerl? Ich gehe jetzt essen.«
    »Ach ja?«, entgegnete ich. »Und wenn ich dir nun erzählen würde, ich hätte hier eventuell einen Beweis dafür, dass Tariq Khaldun nicht derjenige war, der Forrester erschossen hat?«
    Einen Moment lang Stille, dann: »Soll diese schwachsinnige Behauptung bewirken, dass ich weniger Hunger habe?«
    »Nein, Max …«
    »Weil sie das nämlich nicht …«
    »Max, hältst du jetzt mal die Klappe? Wir reden hier von der Ermordung der Präsidentin.«
    »Nein, du redest davon. Ich rede vom Essen.« Ich seufzte. »Wie wär’s, wenn ich was zu essen mitbringen würde?«
    »Wie wär’s, wenn du’s schnell mitbringen würdest?«

3
    Z wanzig Minuten später saßen Max und ich vor einer Reihe von Computern, unter denen der alte Schreibtisch in seinem Büro auf der Einundzwanzigsten Straße in der Nähe des Hudson River fast verschwand. Während wir auf den Hauptbildschirm starrten, schlangen wir zwei Gemüseburger in uns hinein, die ich unten im Feinkostladen geholt hatte. Was wir sahen, nahm uns so gefangen – sogar den abgeklärten Max –, dass uns nicht einmal Zeit für unsere übliche nostalgische Schwärmerei von den Zeiten vor dem verheerenden nationalen E.-coli -Ausbruch von 2021 blieb, als man echte Hamburger noch woanders bekommen konnte als in den vorsichtigsten (und teuersten) Restaurants der Stadt.
    Der Bildschirm vor uns zeigte die mittlerweile schrecklich vertraute Szene, die sich vor drei Jahren abgespielt hatte: das Rednerpult im Ballsaal des Hotels in Chicago; die eindrucksvolle Gestalt von Präsidentin Emily Forrester, die sich auf dem Weg dorthin ein paar Schweißperlen von der Stirn wischte und sich anschickte, die Nominierung ihrer Partei für eine zweite Amtszeit entgegenzunehmen; und weit hinten das Gesicht, das Gesicht des Mörders, dessen Vergrößerung sich jedem Mann, jeder Frau und jedem Kind im Land unauslöschlich ins Gedächtnis eingebrannt hatte, seit die privaten, von einer immer noch anonymen Person in der Menge gedrehten Digicam-Bilder vor gerade einmal einem Jahr entdeckt worden waren. Dieses Gesicht hatte nach einer nur zweimonatigen Suche einen Namen bekommen: Tariq Khaldun, ein kleiner Funktionär im afghanischen Konsulat in Chicago. Die Justiz hatte schnell gehandelt: Khaldun, der kläglich in einem fort seine Unschuld beteuerte, war binnen Monaten verurteilt worden und hatte kürzlich eine lebenslange Haftstrafe in einer Hochsicherheitseinrichtung in der Nähe von Kansas City
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