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Die Täuschung

Die Täuschung

Titel: Die Täuschung
Autoren: Caleb Carr
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angetreten. Infolgedessen waren die immer schon brüchigen diplomatischen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Afghanistan nun bis zum Zerreißen gespannt.
    Aber Max und ich waren an jenem Tag mit ganz anderen Dingen beschäftigt, nämlich vor allem damit, dass auf der Disk, die Mrs. Price mir gegeben hatte, nun nicht die üblicherweise auf den Mord folgende Panikszene kam; stattdessen wurde der Bildschirm ein paar Sekunden lang schwarz. Als er wieder zum Leben erwachte, sahen wir das Verbrechen erneut, nur dass sich diesmal dort, wo das Auge Khalduns Gesicht zu sehen gewohnt war, ein sorgfältig umgrenzter Leerraum befand. Dann wurde der Bildschirm ein zweites Mal schwarz, und schließlich erschien eine dritte Version derselben Sequenz; in dieser Runde war der Mann, der im Hintergrund die Waffe schwang, jedoch ein ganz anderer: ein Asiate, vielleicht ein Chinese, aber bestimmt kein Afghane.
    Ich drehte mich zu meinem bärtigen Freund um. »Na, was meinst du?«
    Max kaute auf einem Kartoffelschnitz herum. Ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen, antwortete er: »Ich meine, dass sie diese Fritten in Lamadung braten.« Er warf seinen Papierteller beiseite.
    »Die Disk, Max«, sagte ich ungeduldig. »Ist sie ein Beweis für eine Fälschung oder nicht?«
    Max zuckte die Achseln. »Schon möglich. Niemand war besser als Price, wenn es um Bildmanipulation ging – und wir wissen alle, dass man rein gar nichts mehr glauben kann, was man nicht mit eigenen Augen gesehen hat. Aber in meiner Software löst das hier keinen Alarm aus.«
    Was einiges heißen wollte. Wie die meisten Privatdetektive unserer Zeit verließ Max sich inzwischen fast ausschließlich auf Computer, ob es nun um das Erkennen einer Fälschung oder um eine DNA-Analyse ging. Wenn seine Programme – und sie waren die besten – keine Spuren absichtlicher Manipulation an unserem Material registrierten, dann ging hier etwas sehr Verwirrendes vor sich. Dieses Etwas betraf einen der folgenreichsten Gewaltakte unserer Zeit. Und daher wurde uns auf ganz unangenehme Weise sowohl die Bedeutung der Disk klar als auch der Grund für die Verzweiflung, die Vera Price in ihrem Benehmen und in ihren Äußerungen gezeigt hatte.
    »Wenn Price wirklich in irgendwas verwickelt war«, murmelte Max, »dann sollten wir uns die Stelle ansehen, wo er getötet worden ist.«
    »Da hat die Polizei schon ziemlich gründlich alles abgesucht.«
    »Ich war mal bei der Polizei, Gideon.« Max strich sich über den Bart. »Wir sollten uns die Stelle selbst ansehen. Und noch eins …« Er kniff die Augen zusammen und rückte mit seinem massigen Leib näher an den Computer heran. »Auf dieser Disk ist noch was anderes drauf. Irgendwas Verschlüsseltes, und zwar richtig Verschlüsseltes. Es würde eine Weile dauern, es zu finden, aber … ich könnte schwören, dass es da ist.«
    »Eins nach dem anderen«, sagte ich. »Wenn das nicht bloß ein Späßchen eines Special-Effects-Genies ist – oder das, was so jemand unter einem Späßchen versteht –, haben wir die Finger schon jetzt in einem ganz üblen Rattennest. Zwei von der Sorte brauchen wir nicht.«
    »He, du bist mit diesem Mist zu mir gekommen, Sherlock.« Er rülpste einmal und bearbeitete dann stirnrunzelnd seine Tastatur. »Verdammt. Wirklich blöd von mir, dich das Essen holen zu lassen …«

4
    W ährend Max an diesem Abend den Bürgersteig vor dem Wohnhaus der Prices auf der Central Park West absuchte, fuhr ich zum Penthouse hinauf, um die Witwe des jüngst Verstorbenen zu besuchen. Ich fand sie, an ihre Tochter geschmiegt, in einem riesigen Wohnzimmer mit Blick auf den Park und teilte ihr mit, dass ich in Anbetracht dessen, was ich auf der Disk gesehen hatte, ihre Ängste verstünde; aber ich müsse trotzdem wissen, wer jene »sie« seien, von denen sie am Nachmittag so beharrlich gesprochen hatte. Sie erklärte, nachdem sie die Disk unter den Habseligkeiten ihres Mannes entdeckt habe, sei sie damit als Erstes zum FBI gegangen. Dort aber habe man den Datenträger nur sofort beschlagnahmt und nicht gerade subtil angedeutet, wenn sie etwas darüber verlauten lasse, könne sich das für sie selbst wie auch für ihre Tochter als sehr riskant erweisen. Als Mrs. Price dann die Sicherheitskopie fand, hatte sie diese schon vernichten wollen, weil sie nicht wusste, an wen sie sich nun noch wenden konnte. Doch dann fiel ihr das Interview ein, das ich im staatlichen Fernsehen gegeben hatte.
    Ich fragte sie, ob sie wisse, dass es
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