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Die Taeuschung

Die Taeuschung

Titel: Die Taeuschung
Autoren: Charlotte Link
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einer
Atmosphäre von Anspannung und kaum erträglichen
Emotionen.
»Von Peter«, sagte Laura.
Nadine schwieg. Laura schaute zum Fenster, hinter dem
eintönig der Regen rauschte. Toulon mit seinen häßlichen
Hochhäusern, seinen Mietskasernen, sah noch trostloser aus als
sonst.
Nach einer Weile meinte Nadine: »Der Beamte sagte,
Cathérine hat die Polizei alarmiert. Ich habe allerdings nicht
ganz begriffen, wie sie etwas von all dem mitbekommen
konnte.«
»Sie war heute früh auch auf dem Präsidium. Soweit ich
verstanden habe, hat sie zufällig dein Auto gesehen, als du zu
mir fuhrst. Sie vermutete aber, daß es Henri wäre – wohl
aufgrund deines Fahrstils. Sie wollte unbedingt zu Henri,
wobei sie aber selbst bei der Polizei den Grund nicht nennen
mochte.«
Nadine versuchte ein zynisches Lächeln, das kläglich
mißlang und ihr entstelltes Gesicht noch befremdlicher
aussehen ließ. »Vielleicht gab’s gar keinen bestimmten Grund.
Sie wollte immer zu Henri. Ihr ganzes Leben lang.«
»Jedenfalls parkte sie in ihrem Auto vor unserem Tor,
unschlüssig, was sie tun sollte. Sie hoffte, Henri käme heraus.
Stattdessen sah sie dich. Und dank des Lichts, das zuvor
angesprungen war, konnte sie genau verfolgen, wie du
zusammengeschlagen wurdest. Sie fuhr den Berg hinunter und
verständigte über ihr Handy die Polizei.«
Nadine verzog ihren geschwollenen Mund erneut zu einem
fratzenhaften Grinsen. »Jede Wette, daß sie gezögert hat? Da
ist bestimmt einige Zeit verstrichen. Mich dort liegen und
sterben zu lassen hätte sich zu schön mit ihren Wünschen
gedeckt. Ich war ihr immer im Weg.«
»Ich war dir auch im Weg«, sagte Laura, »und trotzdem
wolltest du mir helfen.«
Nadine versuchte den Kopf zu heben, stöhnte jedoch und
sank in ihr Kissen zurück.
»Bleib liegen«, sagte Laura, »du machst alles nur schlimmer,
wenn du dich bewegst.« Sie sah, daß Nadine den Mund öffnete
und kam ihr zuvor. »Bitte, sag dazu nichts. Ich weiß alles über
Peter und dich. Und ich möchte nicht darüber sprechen, nicht
mit dir.«
Jedenfalls nicht so, fügte sie in Gedanken hinzu. Dieser
schwer verletzten Frau gegenüber vermochte sie keine Wut
aufzubringen. Sie waren beide beinahe ums Leben gekommen.
Sie fühlte sich leer und müde, unfähig zu hassen, unfähig auch
zu jeder anderen Emotion. Die kaum überstandene Todesnähe
schien alles relativiert zu haben. Irgendwann würde sie wieder
voller Zorn sein auf Nadine, würde den ganzen Schmerz des
Verrats und der Demütigung erneut spüren. Aber sie würde
Nadine nicht wiedersehen, und sie beide würden einander
nichts erklären. Und eigentlich wollte sie das auch nicht. Sie
wollte keine Erklärung von Nadine haben. Keine
Rechtfertigung, keine Entschuldigung. Dann mußte sie auch
kein Verständnis haben. Sie wollte es einfach stehen lassen,
wie es war.
»Danke, daß du gestern nacht zu mir gekommen bist«, sagte
sie, »das war es eigentlich, weshalb ich jetzt zu dir gekommen
bin. Weil ich dir danken wollte.«
Nadine erwiderte nichts.
Laura war erleichtert, als die Schwester in der Tür erschien
und ihr bedeutete, daß sie nun gehen müsse.
Es gab nichts zu sagen.
2
    Cathérine war erstaunt, den Makler, den Sie mit dem Verkauf
ihrer Wohnung beauftragt hatte in Begleitung eines jungen
Pärchens vor ihrem Haus wartend anzutreffen. »Sie wollen
sicher zu mir«, sagte sie. Der Makler sah sie gekränkt an. »Ich
habe gestern den ganzen Nachmittag über versucht, Sie zu
erreichen. Aber Sie waren nicht da! Jetzt bin ich auf gut Glück
mit den Interessenten hergekommen.«
    Cathérine sperrte die Tür auf. »Kommen Sie herein«
Bei dem Regen und dem trüben Wetter wirkte die Wohnung
noch heruntergekommener und häßlicher als sonst , aber das
Pärchen schien das kaum zu bemerken. Cathérine vermutete,
daß die beiden kaum älter als zwanzig waren Sie wirkten
ungeheuer verliebt ineinander und aufgeregt bei dem
Gedanken, in eine eigene Wohnung zu ziehen.
»Wir werden das erste Mal zusammenleben«, sagte das
Mädchen zu Cathérine.
Cathérine beteiligte sich nicht an der Führung, sie überließ es
dem Makler, die Scheußlichkeit schönzureden. Sie zog ihre
Schuhe aus, hängte die tropfnasse Jacke über die Badewanne.
Sie war müde. Sie hatte kein Auge zugetan in der Nacht, und
frühmorgens hatten zwei Polizeibeamte sie abgeholt und nach
Toulon aufs Präsidium gefahren, wo ihre Aussage protokolliert
wurde. Sie hatte Laura getroffen, die
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