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Die Taeuschung

Die Taeuschung

Titel: Die Taeuschung
Autoren: Charlotte Link
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wieder auf allzu verständnisvolle Gutachter treffen, die
ihnen einen geheilten Zustand attestieren – was nach meiner
Überzeugung in jedem Fall ein hochriskantes Spiel mit dem
Feuer bleibt. Das heißt, ich kann Ihnen nicht versprechen, daß
er für immer hinter Schloß und Riegel landet.«
Die Worte klangen in ihr nach, während sie aus ihrer Küche
über das verregnete Tal mit seinen vielen Weinstöcken und
kleinen provenzalischen Häusern blickte. Wie sehr hatte sie
diese Gegend geliebt, und wie schnell war ein Ort des
Schreckens für sie daraus geworden. Ein Schrecken, der
vielleicht noch nicht vorüber war. Natürlich würden Jahre
vergehen. Aber irgendwann mußte sie vielleicht wieder Angst
haben.
Jetzt nicht daran denken, befahl sie sich.
Sie würde ihre Nerven brauchen in den nächsten Wochen.
Sie mußte den gewaltigen Schutthaufen ihres alten Lebens
beiseite räumen und auf den Trümmern das neue Leben
aufbauen. Die Alpträume vergessen. Vielleicht konnte sie dann
ihrer Tochter sogar irgendwann einmal etwas Gutes über ihren
Vater erzählen. Etwa davon, wie schön es gewesen war, mit
ihm zusammen dieses Haus zu suchen, es zu finden, es
einzurichten, darin zu leben.
Sie merkte plötzlich, daß sie weinte. Sie lehnte ihr heißes
Gesicht gegen das kühle Glas der Fensterscheibe und ließ ihren
Tränen freien Lauf. Sie ließ den Schmerz, die Enttäuschung,
die Trauer über sich hereinbrechen, ließ sich überschwemmen
davon. So heftig hatte sie erst einmal geweint, damals in Peters
verlassenem Auto vor dem Chez Nadine, aber diesmal meinte
sie, nie wieder aufhören zu können.
Als sie ein Klingeln hörte, hatte sie zunächst keine Ahnung,
woher es kam. Erst nach einer Weile registrierte sie, daß es ihr
Handy war, das läutete. Die Handtasche. Wie dringend hatte
sie sie gesucht in der Nacht. Hier in der Küche stand sie also,
auf einem Stuhl.
Ihre Tränen versiegten so plötzlich, wie sie gekommen
waren. Sie kramte das Handy hervor und meldete sich. »Ja?
Hallo?«
»Du hast aber lange gebraucht«, sagte Anne, »wo bist du?
Ich hoffe, schon ein ganzes Stück weit auf der Autobahn. Ich
habe mit deiner Mutter gesprochen. Sie sagte, du wolltest heute
abreisen?«
»Ich bin noch hier.«
»O Gott, das gibt’s doch nicht! Hast du verschlafen?«
»Meine Nacht war ein bißchen unruhig.«
»Dann sieh zu, daß du jetzt in die Gänge kommst!« sagte
Anne. Mißtrauisch fügte sie hinzu: »Bist du erkältet? Du
klingst so komisch.«
Laura wischte sich mit einem Ärmel ihres Pullovers über das
nasse Gesicht. »Nein. Das muß an der Verbindung liegen.«
»Fahr gleich los, hörst du? Ich möchte dich so gern noch
sehen heute abend. Ich freu mich so auf dich!«
»Ich freue mich auch auf dich.« Laura rieb sich ein letztes
Mal die Augen.
»Ich bin schon fast bei dir«, sagte sie.
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