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Die Sünderin

Die Sünderin

Titel: Die Sünderin
Autoren: Petra Hammesfahr
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Kindes befürchtet, dass er auf die Tür zeigte. «Geh wieder dahin, wo du hergekommen bist.» Und Gereon hätte nur dabeigestanden mit betretener Miene. Er hatte ihr nicht einmal den Rücken gestärkt, nie den Mund aufgemacht zu ihrer Verteidigung.
    Kurz nach der Geburt des Kindes war es bitter gewesen zu erkennen, dass sie an ihm keine Hilfe hatte. Inzwischen spielte es keine Rolle mehr. Er war eben so, tat seine Arbeit, wollte ansonsten seine Ruhe – und freitags und samstags ein bisschen Liebe! Dagegen konnte sie nicht kämpfen, weil Liebe etwas Gutes, etwas Schönes, etwas völlig Natürliches und Normales war.
    4.   Jul. 16   :   52! Es war noch eine Rechnung zu schreiben. Sie hatte es vor sich hergeschoben, um sich in den allerletzten Minuten damit abzulenken. Ein neuer Heizkessel. Gereon hatte ihn am Mittwoch eingebaut, zusammen mit Manni Weber. Für die kommende Woche standen zwei weitere auf dem Arbeitsplan. Die neue Schadstoffverordnung zwang die Leute, ihre alten Anlagen zu verschrotten. Zwar war die Verordnung schon vor einigen Jahren in Kraft getreten. Aber viele hatten die Kosten gescheut und erst einmal abgewartet,bis der Bezirksschornsteinfeger drohte, die alten Kessel stillzulegen.
    Irgendwie war sie komisch, diese Einstellung. Man wusste genau, was auf einen zukam. Und tat nichts! Wartete ab. Als ob so ein alter Heizkessel von heute auf morgen und völlig aus eigenem Antrieb seinen Schadstoffausstoß der strengeren Norm anpassen, als ob ein Loch im Innern sich von einer Minute zur nächsten wieder schließen könnte.
    Vor vier Jahren hatte es das getan. Nicht von einer Minute zur nächsten, es hatte ein paar Monate gedauert. Und da war Gereon noch nicht gewesen, der das Flickwerk von ein paar Tagen mit einem Handstreich wieder zerriss.
    4.   Jul. 16   :   57! Außer der Rechnung lag nichts mehr an. Am vergangenen Freitag hatte sie sich noch eine Weile mit den Lohnabrechnungen beschäftigen können. Es war nur eine Illusion gewesen, aber immerhin etwas, das die Panik in Schach gehalten hatte. Es war nicht nur Furcht, kein simples Gefühl von Unbehagen. Es war ein grauroter Nebel, der das Gehirn ausfüllte, in jeden Winkel drang und jeden Nerv blockierte.
    Feierabend! Mit steifen Fingern zog sie das Blatt aus der Maschine und überprüfte sorgfältig die einzelnen Posten. Es gab nichts zu korrigieren, nur der Schreibtisch musste noch ein wenig aufgeräumt werden. Zuletzt klappte sie das Kalenderblatt auf die nächste Woche um. Montag! Bis dahin waren es zwei Ewigkeiten – wie zweimal sterben. Dabei war sie bereits halb tot.
     
    Die Beine gehorchten ihr nicht. Sie ging wie auf Stelzen durch das winzige Büro und das Lager hinaus auf den Hof. Es war sehr warm draußen. Die Sonne lachte wie ein Babygesicht vom wolkenlosen Himmel. Das Licht war so grell, dass ihre Augen zu tränen begannen. Aber das hatte wohl mit dem Licht nicht viel zu tun.
    Vorne an der Straße lag das Haus der Schwiegereltern. Ihr eigenes stand auf dem ehemaligen Garten. Es war ein großes Haus mit moderner Einrichtung, die Küche war ein Traum aus weiß gebleichter Eiche. Normalerweise war sie sehr stolz auf alles. Augenblicklich gab es keine Gefühle wie Stolz oder Selbstbewusstsein. Nur die Angst, diese wahnsinnige Angst, verrückt zu werden. Verrückt sein war für sie schlimmer als tot.
    Bis kurz vor sieben war sie mit ihrem Haushalt beschäftigt. Gereon war noch nicht da. Freitags ging er regelmäßig mit Manni Weber in eine Kneipe und trank ein oder zwei Bier, niemals mehr als zwei, wenn doch, dann nur alkoholfreies. Sie trafen sich pünktlich um sieben im Haus der Schwiegereltern zum Abendessen.
    Um acht gingen sie hinüber ins eigene Haus. Ihren Sohn nahm sie mit und brachte ihn gleich ins Bett. Sie musste das Kind nur hinlegen. Eine Windel für die Nacht und den Schlafanzug hatte die Schwiegermutter ihm bereits angezogen.
    Gereon setzte sich vor den Fernseher, schaute sich zuerst die Nachrichten an, dann einen Film. Um zehn bekam er seinen nervösen Blick. Er rauchte noch eine Zigarette. Bevor er sie anzündete, sagte er: «Eine rauche ich noch.»
    Er war angespannt und unsicher. Seit Wochen wusste er nicht mehr, wie er sich verhalten sollte. Nach ein paar Minuten drückte er die Zigarette aus und sagte: «Ich geh schon mal rauf.» Ebenso gut hätte er eine Peitsche schwingen oder sonst etwas Ungeheuerliches tun können.
    Sie kam kaum aus dem Sessel hoch, als er wenig später nach ihr rief. «Cora, kommst du? Ich
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