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Die Sünderin

Die Sünderin

Titel: Die Sünderin
Autoren: Petra Hammesfahr
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nickte. «Dann haben wir das ja geklärt.»
    Bis dahin hatte er sich nach Feierabend selbst um den Papierkramkümmern müssen. Ihre Schwiegermutter konnte gerade das Telefon bedienen. Viel mehr konnte sie anfangs auch nicht.
    Es gab nie einen Rat von dem Alten, nie einen Hinweis, wie er es bis dahin gehandhabt hatte. Und sich an den Büchern orientieren – dazu hätten sie ordentlich geführt sein müssen. Manchmal schien es, als weide sich der Alte an ihrer Hilflosigkeit. Nur war sie nicht lange hilflos gewesen.
    Sie begriff rasch, worauf es ankam, und biss sich durch. Nichts fiel ihr in den Schoß, sogar um die Bretterwände, die den Bürowinkel vom übrigen Lager abtrennten, musste sie kämpfen.
    Im ersten Jahr saß sie da in der Ecke, den großen Raum vor Augen, der nicht geheizt wurde und immer schmutzig war; an einem ausrangierten Küchentisch, an dem sie sich wie bei Mutter fühlte. Sie wagte nicht aufzumucken, obwohl der Alte ihr nicht einmal Lohn zahlte. Auch Gereon bekam nur ein Taschengeld. Wohnung und Essen hatten sie frei, Gereons Wagen war als Firmenfahrzeug deklariert. Wenn sie sonst etwas brauchten, musste Gereon fragen.
    Nicht einmal die Schwangerschaft brachte eine Vergünstigung oder ein bisschen Bequemlichkeit. Bis zur allerletzten Minute saß sie in dem Lagerwinkel. Als die Wehen einsetzten, arbeitete sie gerade einen Kostenvoranschlag für den Einbau einer Gaszentralheizung aus; im Stehen vor dem Tisch, weil sie nicht mehr sitzen konnte mit diesem Ziehen im Rücken. Ihre Schwiegermutter wurde hysterisch, weil es so schnell ging. Ein paar heftige Krämpfe, dann platzte die Fruchtblase, und sie fühlte einen ungeheuren Druck im Unterleib.
    Sie hatte nicht ins Krankenhaus gehen wollen. Aber dann rief sie doch: «Ich brauche einen Krankenwagen! Ruf mir einen Krankenwagen!»
    Ihre Schwiegermutter stand nur da und zeigte auf denTisch. «Du bist doch noch nicht fertig. Mach das lieber erst fertig. So schlimm kann’s nicht sein. Man kriegt ein Kind nicht in zehn Minuten. Mit Gereon hab ich einen ganzen Tag gelegen. Der Vater wird wütend, wenn das heute Abend nicht fertig ist. Du weißt doch, wie er ist.»
    Das wusste sie nur zu gut. Sie lebten ja seit der Hochzeit unter einem Dach. Der Alte war ein Tyrann, ein Ausbeuter. Die Schwiegermutter war ein unterwürfiges Weibsbild, das nach oben buckelte und nach unten trat. Gereon war nur ein Befehlsempfänger und sie eine Sklavin; billig eingekauft auf dem großen Markt, nur für die Illusion eines ordentlichen Lebens, praktisch umsonst.
    Und wie sie da vorgekrümmt neben dem alten Küchentisch stand, mitten im Dreck, die Pfütze betrachtend, die sich um ihre Füße ausgebreitet hatte, eine Hand zwischen die Beine pressend und fühlend, wie es sich dort vorwölbte, da reichte es plötzlich. Mach das lieber erst fertig? Nein!
    In der Klinik fand sie Zeit, in Ruhe über ihr Leben nachzudenken und zu begreifen, dass auch die so genannten ordentlichen Verhältnisse ihre Tücken hatten, dass jede Hoffnung, die Träume könnten sich in dieser Umgebung von allein erfüllen, vergebens war. Es stellte sich nur noch die Frage, wie viel sie riskieren durfte. Aber mit einem Kind im Arm war es leichter; das waren sieben Pfund Gewicht, um jede Forderung zu unterstützen.
    Als sie ein paar Tage später zurückkam, begann sie ihre Vorstellungen zu verwirklichen. Damals fing sie sich den Ruf ein, ein freches und rücksichtsloses Geschöpf zu sein. Ein Weib mit Haaren auf den Zähnen, sagte der Alte häufig. Das war sie mit Sicherheit nicht, aber sie konnte zur Not so tun. Und es hätte ja nichts genützt, um Erlaubnis zu fragen.
    Sie richtete sich das Büro ein; komplett mit Schreibtisch, Aktenschrank und Heizung. Sie nahm sich noch andere Freiheiten heraus, zahlte Gereon und sich selbst einen Lohn. DerAlte bekam einen Tobsuchtsanfall, sprach von Unverschämtheit und Raffgier. «Wo hast du gelernt, in anderer Leute Kassen zu greifen?»
    Ihr schlug das Herz zum Hals heraus, aber sie gab ihm Kontra. «Entweder wir werden bezahlt wie andere, oder wir arbeiten woanders. Das kannst du dir aussuchen. Du kannst dich auch umhören, was in anderen Betrieben bezahlt wird. Dann siehst du, dass du noch gut wegkommst. Und sag nie wieder, dass ich in deine Kasse greife! Ich arbeite für mein Geld!»
    Es war mühsam gewesen, sich gegen den Alten durchzusetzen. Das hatte sie geschafft, hatte ihm vor gut einem Jahr sogar ein eigenes Haus abgerungen. Mehr als einmal hatte sie trotz des
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