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Die Sünderin

Die Sünderin

Titel: Die Sünderin
Autoren: Petra Hammesfahr
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Finger deutete sie auf die gegenüberliegende Wand. «Da haben wir gestanden. Johnny und ich. Mir war schlecht, weil ich Magdalena   …» Sie brach mitten im Satz ab, schüttelte sich und würgte unvermittelt. Dann sprach sie stockend weiter.

15.   Kapitel
    Ich habe sie nie mehr gehasst als in dem Augenblick, als sie sich auf dem Bett ausstreckte. Und ich wusste, diesmal reichten meine Finger und die Kerze nicht. Danach wollte sie meist noch eine Weile reden und schmusen. Wenn ich sie richtig müde machen wollte, musste ich es ihr mit der Zunge   … Mir wurde übel, als ich nur daran dachte.
    Das war der Moment, in dem ich begriff, dass alles umgekehrt war. Nicht ich lebte für sie. Sie lebte mein Leben. Früher hatte Vater sie Spatz genannt. Und sie pickte sich wie ein Spatz die Haferkörner aus meinem Scheißleben. Und nur das, was übrig blieb, ließ sie für mich. Ekel!
    Vielleicht war es nur der Sekt, der mir alles durcheinander warf. Vielleicht war es Johnny, den ich zurückgelassen hatte. Ich hatte das Gefühl, innerlich zu verbrennen, während ich sie küssen und streicheln musste. Genau das hätte Johnny mit mir gemacht, wenn ich bei ihm geblieben wäre.
    Und da begann ich zu erzählen. Die ganze Wahrheit. Keine Männer bisher, nur einen Spargeltarzan. Keinen heißen Sex mit scharfen Typen. Nur ein paar lauwarme Küsse, die nach Bier schmeckten. Und jetzt dieser eine, dieser andere, der mir bis in die Knie gefahren war.
    Sie lag still und hörte mir zu. Als ich zu weinen begann, nahm sie mich in die Arme. Ich fühlte ihre Hände im Rücken. Sie zog mir das T-Shirt aus dem Rockbund, schob ihre Hände darunter und strich mir über den Rücken. Ich hörte sie flüstern: «Es ist ja gut. Es ist alles gut, Schätzchen. Es tut mir Leid. Ich bin eine furchtbare Last für dich. Ich weiß das. Aber nicht mehr lange. Nicht mehr lange, Schätzchen, das verspreche ich dir.» Sie schob ihre Hände unter meinen Armennach vorne und legte sie mir auf die Brust. Ich wollte nicht, dass sie mich so anfasste. Ich wollte Johnnys Hände dort fühlen, Johnnys Flüstern, Johnnys Küsse, Johnnys Körper.
    Ob ich ihr das sagte, weiß ich nicht mehr. Ich muss wohl, weil sie plötzlich von mir abrückte und sagte: «Du kriegst ihn, Schatz. Hol ihn dir. Und ich will gar nicht wissen, wie es war.» Und während sie sich aufrichtete, sagte sie: «Weißt du, was wir jetzt tun? Wir fahren zu Johnny.»
    Sie sagte immer wir, wenn sie mich meinte. Ich musste an die Lernschwester denken, von der sie mir einmal erzählt hatte. Wie sehr sie sich in der schlimmen Zeit nach Mutters Umarmung gesehnt hatte. Und dass sie nie einen Menschen hatte. Nur mich.
    Es tat mir Leid, dass ich ihr so gemeine Sachen gesagt hatte. Sie konnte doch nichts dafür. Aber ich konnte auch nichts dafür, dass ich mich verliebt hatte. Ich war neunzehn! Es war normal, dass man sich mit neunzehn in einen Mann verliebte. Ich konnte doch nicht für den Rest meines Lebens dazu verdammt sein, Männer zu erfinden und meiner Schwester zu zeigen, wie es war, von ihnen geliebt zu werden. Ich wollte jetzt, in diesem Moment wissen, wie es war.
    Ich wollte danach heimkommen und zu meinem Vater sagen können: «Ich weiß jetzt, was du all die Jahre vermisst hast. Verzeih mir, Papa! Verzeih mir all die widerlichen Dinge, die ich zu dir gesagt und über dich gedacht habe. Verzeih mir den Ekel. Ich glaube, ich habe mich nur vor mir selbst geekelt. Aber das ist jetzt vorbei. Ich bin jetzt eine Frau, eine richtige Frau. Ich habe mit einem Mann geschlafen. Und es war wunderschön.»
    Ich wollte doch nur leben. Ganz normal leben. Mit einem Mann, den ich liebte und der mich liebte. Mit einem Vater, der zufrieden war und glücklich auf seine alten Tage.
    Er sollte nie mehr vom schwarzen Buchholz erzählen müssen,um die kleinen Kinder zu vergessen, die er in Polen erschossen hatte. Wenn er damals alleine in Polen gewesen wäre, hätte er das bestimmt nicht getan. Und ich wollte, dass er begriff: Er hatte daran soviel Schuld wie ich an den Löchern in Magdalenas Herz. Ich wollte, dass er es vergaß.
    Er sollte nur noch an die Kinder denken, die ich ihm vielleicht eines Tages auf den Schoß setzte, damit er ihnen die alten Geschichten von der Eisenbahn erzählte. Ich wollte, dass er stolz auf mich war. Ich wollte, dass er in seinen Kindern nicht mehr seine Strafe sah, dass er sich nicht mehr wünschen musste, er hätte einmal verzichtet und die Zeit abgewartet, und Magdalena wäre nie
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