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Die Sünderin von Siena

Die Sünderin von Siena

Titel: Die Sünderin von Siena
Autoren: Brigitte Riebe
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Krankenpflege.« Ihr Blick gewann an Schärfe. »Ekeln dich Auswurf und Geschwüre? Das Elend der Menschen, ihre sterbliche Armseligkeit – ist es das, was dich schreckt?«
    »Nein.« Gemmas Kehle wurde enger. »Es ist nur so, dass ich …« Sie verstummte.
    Celestinas fester Blick zwang sie zum Weitersprechen.
    »All das dort oben im Krankensaal erinnert mich zu sehr an meine Mutter. Sie ist schon seit vielen Jahren tot, aber für mich ist es, als sei sie erst gestern gestorben.«
    »Jeder, der bei uns bleiben will, muss hart arbeiten können«, sagte Celestina. »Und beileibe nicht nach seinen eigenen Vorlieben und Wünschen, sondern genau dort, wo er gerade gebraucht wird. Dieser Regel haben wir uns alle unterordnen müssen.«
    »Das macht mir nichts aus«, sagte Gemma schnell. »Und gehorchen kann ich auch. Meistens jedenfalls. Wenn Ihr mich erst einmal aufgenommen habt, werdet Ihr bald sehen, dass ich …«
    »Wir sollten nichts überstürzen.« Celestina klang plötzlich kühl.
    Jetzt bereute Gemma, dass sie ihr von Lupo erzählt hatte, auch wenn es nur das Nötigste gewesen war. Aber wie sonst hätte sie sie dazu bringen sollen, ihr ein Bett zuzuweisen und die Kleiderkammer extra für sie aufzusperren?
    »Dem Hospital zu dienen«, fuhr Celestina fort, »ist eine Lebensentscheidung. Und wie bei jeder Weggabelung kann man auch hierbei die falsche Wahl treffen.«
    Gemma spürte, wie erneut Tränen in ihre Augen drängten. Was war nur plötzlich los mit ihr? All die Zeit unter Lupos Dach hatte sie sich besser beherrschen können. Erst mit ihrer Flucht schienen die Dämme gebro chen. Was, wenn auch hier niemand sie haben wollte? Plötzlich fühlte sie sich genauso verlassen wie zuvor. Zu ihrer Überraschung spürte sie auf einmal Celestinas warme Hand auf ihrem Arm.
    »Wir sind nun mal allein«, sagte sie. »Daran solltest du dich beizeiten gewöhnen. Aber Gott, der unsere Geschicke lenkt, ist freundlicher, als du vielleicht denkst.« Ein heftiger Niesanfall erschütterte sie, und als ihre Augen endlich wieder klar waren, klang ihre Stimme sanfter. »Ein Spaziergang wird deine Gedanken klären«, sagte sie. »Wasch dich und zieh ein frisches Kleid an. Aber such dir dieses Mal eines aus, das besser passt!«
    »Weshalb?«
    »Weil wir weder Bettler noch Vogelscheuchen sind, sondern dem Hospital stets Ehre machen, egal, wo immer wir uns auch befinden. Allerdings solltest du lernen, sorgsamer mit unseren Sachen umzugehen. Bei diesen Temperaturen ist die große Wäsche wahrlich kein Kinderspiel!«
    »Ihr schickt mich also fort?«
    Jetzt waren die braunen Augen voller Mitgefühl. »Davon kann keine Rede sein. Du wirst vielmehr unsere Speisung zu einem der neuen Kinderhäuser bringen. Und ich wette, dort erwartet man dich bereits ungeduldig!«

    ❦

    Er hatte die enge weiße Haube abgelegt, die er sonst stets unter der steifen Kappe trug, und im Gegenlicht umgab das störrische rotblonde Haar seinen schmalen Schädel wie eine Aureole. Vor ihm auf dem Tisch lag ein Laib Brot, dem er schon kräftig zugesprochen hatte, daneben standen Salznapf, eine Schale mit grünlichem Öl sowie Becher und Weinkrug.
    »Ich störe Euch – verzeiht!« Matteo wollte die Türe schon wieder schließen, als das ungeduldige Winken des Rektors ihn innehalten ließ.
    »Nur herein mit Euch, Messer Minucci!«, knurrte er zwischen zwei Bissen. »Ich hatte die Hoffnung bereits aufgegeben, Euch heute noch leibhaftig zu Gesicht zu bekommen.«
    »Die Hoffnung aufgeben sollten wir niemals«, erwiderte Matteo. »Denn was wären wir schon ohne sie?«
    Er kam langsam näher, lächelnd, innerlich jedoch auf der Hut. Nardo Barna, der seit einigen Jahren Santa Maria della Scala vorstand, entstammte einer der reichsten Familien der Stadt, deren Ländereien, Weinberge und Olivenhaine bis hin zur Crete reichten. Noch am Tag seines Amtsantritts waren Wetten abgeschlossen worden, dass einer wie er niemals sein gesamtes Vermögen dem Hospital übereignen würde. Doch zur Überraschung aller hatte Barna getan, was die Regel vorschrieb, und schien seitdem die verordnete Armut regelrecht zu genießen. Es hieß, er verschmähe sogar die Annehmlichkeiten der wohnlichen Räume, die seine Vorgänger stets genossen hatten, und verbringe die meisten Nächte auf dem schmalen Feldbett neben dem Fenster. Allerdings hatte er nichts von seinem früheren Geschäftssinn verloren, sondern verwendete ihn nun ausschließlich zugunsten und im Interesse des Hospitals.
    Matteo sah unter
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