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Die Sünderin von Siena

Die Sünderin von Siena

Titel: Die Sünderin von Siena
Autoren: Brigitte Riebe
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historisch bezeugt heimgesucht – hätten dies aber durchaus tun können. Die Wanderpredigerbewegung war ein Phänomen des 13. und 14. Jahrhunderts. Mancherorts wurden diese wandernden »frommen Männer« als Heilige behandelt, manchmal auch als Verbrecher aus den Städten gejagt. Natürlich gab es unter ihnen durchaus ernst zu nehmende Christen, aber eben auch viele Scharlatane, die den Wunsch der Menschen nach Erlösung und Buße für eigene Interessen zu nutzen wussten. Ich habe mir die Freiheit genommen, einen aus dieser zweiten Kategorie zu verwenden. Wem beim Lesen gewisse Parallelen zu Savonarolas Gewaltherrschaft in Florenz in den Sinn kommen, der liegt bestimmt nicht falsch.

    SALZ DES LEBENS – SALZ DES TODES

    Salz, »der Lebensstoff«, wie ihn schon die Antike und später auch die Alchemie voller Hochachtung beschrieben haben, weil er als wesentliches Mittel zur Haltbarmachung aus dem Alltag der Menschen nicht wegzudenken war, kann zum Gift werden, wenn er in zu hoher Menge zugeführt wird. Bei kleinen Kindern bis zu 20 Kilogramm Körpergewicht genügen rund 30 Gramm Salz, um den Tod herbeizuführen, ein Gift, das in früheren Zeiten so gut wie nicht nachweisbar und damit umso perfider war.
    Ein auf diese Weise vergiftetes Kind wird Symptome entwickeln, die zum Teil auf einen erhöhten Natriumwert im Blut und zum anderen auf eine allgemeine Austrocknung von Körperzellen zurückzuführen sind (siehe die Szene im Roman, wo bei Matteos verbotener Obduktion die Haut der kleinen Toten »stehen bleibt«). Das können Verwirrtheit, Lethargie, Spastik, Koma, Fieber, manchmal sogar epileptische Anfälle sein. Natürlich ist auch übermäßiger Durst (siehe Roman!) ein wesentliches Symptom. Die moderne Gerichtsmedizin kann eine solche Überdosis mit ihren Methoden heute nachweisen – was im 14. Jahrhundert, abgesehen von dem grundlegenden Verbot anatomischer Studien an Menschen – nicht möglich war. Was aber auch damals zu sehen war, selbstredend nur »in situ«, also wenn die Leiche geöffnet war, waren dunkle Nekrosen an der Magenwand und im Zwölffingerdarm, die ich im Roman aus naheliegenden Gründen nicht mit diesem medizinischen Fachterminus bezeichnen konnte. Dem aufmerksamen Maler Matteo aber fallen sie durchaus als »Abweichungen« auf, weil er ja bereits vor Jahren die Leiche seines toten Kindes verbotenerweise geöffnet hatte.

    PECCATUM MUTUM

    Heute versteht man unter Sodomie nur noch den sexuellen Verkehr mit Tieren. Demgegenüber fasst das Mittelalter ganz verschiedene »widernatürliche« Praktiken unter diesem Begriff zusammen, vor allem jedoch sexuelle Kontakte unter Männern. Dieses »Laster« hieß auch »die stumme Sünde«, »die Sünde ohne Namen« oder »jene Sünde, die unter Christen nicht genannt werden darf«.
    Als Substantiv taucht Sodomie erstmals Mitte des
    11. Jahrhundert in einer kirchlichen Streitschrift auf: In seinem Liber Gomorrhianus ruft der Benediktinermönch Damianus Papst Leo IX. dazu auf, das sodomitische Laster aus der Kirche zu tilgen, indem man diejenigen, die sich dessen schuldig gemacht haben, ihrer geistlichen Würden enthebt.
    Dennoch war Sodomie bis zum 13. Jahrhundert in den meisten Ländern Europas nicht strafbar, sondern lediglich eine unter zahlreichen anderen Sünden in den kirchlichen Bußbüchern. Das änderte sich im Zug der Kreuzzugspropaganda gegen den Islam, die den Begriff der Sodomie politisierte. Mohammed, der »Feind der Natur«, habe diese Sünde unter seinen Anhängern popularisiert, hieß es in zeitgenössischen Pamphleten. Die Sarazenen würden Bischöfe vergewaltigen und christliche Knaben für ihre schändlichen Begierden missbrauchen. Nur wenig später gehörte Sodomie auch zu den Standardvorwürfen gegen die Häretiker, sodass ketzern im Mittelhochdeutschen zum Synonym für »sodomitisch verkehren« wurde.
    Im Rahmen dieser Hetze wandelte sich zwischen
    1250 und 1300 die Sodomie von einer zwar sündigen, aber legalen Praxis zu einer Handlung, die fast überall in
    Europa mit der Todesstrafe belegt wurde. Meistens drohte den Verurteilten der Scheiterhaufen. Die Sodomie war jedoch weiterhin vor allem ein Werkzeug der Denunziation und der politischen Intrige, das dementsprechend benutzt und eingesetzt wurde. Ein besonders drastisches Beispiel lieferte die Stadt Florenz. Nachdem wiederholte Pestepidemien die Einwohnerzahl auf ein Drittel reduziert hatten, wurde dort 1432 »die Behörde der Nacht« geschaffen, die sich ausschließlich der
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