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Die Sünderin von Siena

Die Sünderin von Siena

Titel: Die Sünderin von Siena
Autoren: Brigitte Riebe
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Schleier, entblößte ihr Haar. »Am Ansatz ist es schon wieder ganz rötlich«, sagte sie. »Ich kann mir die Walnussfarbe künftig sparen. La Salamandra war für ihren Feuerkopf berühmt. Da sollte Mamma Lina besser braves dunkles Haar haben.«
    Dann raffte sie ihre Röcke und hob sie bis über die Hüften.
    »Sieh ganz genau hin!«, sagte sie. »Dann weißt du, wer ich wirklich bin.«
    Gemmas Mund öffnete sich staunend.
    »Du … du bist ein Mann?«, sagte sie. »Aber warum …«
    »Ich war ein Waisenjunge, aber so weich, so weiblich. Mit langen roten Locken und zarter Haut. Männer waren hinter mir her, seit ich denken kann. Aber es gibt ja diese schlimmste aller Sünden, die mit dem Scheiterhaufen bestraft wird und die so schrecklich ist, dass sie keinen Namen besitzt: peccatum mutum . Eine tüchtige Freudenhausbesitzerin kam als Erste auf die Idee, und so wurde aus dem kleinen Jungen Lino ein Mädchen, um es den Kunden einfacher zu machen. So konnten sie ihre sündige Lust befriedigen, aber sie mussten nicht die Gesetze und die ewige Verdammnis fürchten, denn sie hatten es ja mit einer Frau getan. Als ich erwachsen wurde, gab ich mir schließlich selber den Namen la Salamandra. Mit ihm hab ich es zu Wohlstand und einiger Berühmtheit gebracht.«
    Linas Gesicht hatte sich verdunkelt.
    »Doch wie sehr hab ich mir schon bald gewünscht, dieses Leben für immer hinter mir zu lassen! Ich hab zurückgelegt, was ich nur konnte, aber es wollte nicht schnell genug mehr werden, und als dann eines Tages dieser Seemann mit dem Goldsack bei mir starb, erschien mir dies als Zeichen des Himmels. Ich wollte frei sein, endlich ein anständiges Leben führen.«
    Sie warf Gemma einen langen Blick zu.
    »Viele Jahre war ich eine Frau gewesen. Ich konnte kein Mann mehr werden, wie ein Mann denken oder fühlen. So wurde ich zu Mamma Lina. Den Rest der Geschichte kennst du.«
    »Und wirst du jetzt auch so bleiben?« Gemma suchte nach den richtigen Worten.
    »Bis zu meinem Tod – und noch darüber hinaus. Ich werde Mia einweihen, sobald sie älter ist, damit sie eines Tages meine Totenwäscherin wird. Nicht einmal dann soll jemand Fremder mein Geheimnis entdecken.«
    Gemma stand langsam auf, ging auf Lina zu und schloss sie fest in die Arme. Jetzt endlich ließ diese es geschehen.
    »Für mich wirst du immer eine Schwester bleiben«, flüsterte Gemma. »Die große Schwester, die ich liebe und bewundere.«

    ❦

    San Domenico war bis zum letzten Platz gefüllt, als der Bischof von Siena das feierliche Hochamt anlässlich des neuen Mariengemäldes beendete. In der vordersten Bank Matteo und Gemma, die von Lelio, Maria und Angelina begleitet wurden. Ganz in ihrer Nähe Nevio und Ornela, die ein seliges Lächeln auf den Lippen trug.
    »Die Madonna sieht so lebendig aus, als würde sie im nächsten Moment aufstehen und zu uns kommen«, hörte Gemma eine Frau andächtig flüstern. »Wie schön sie ist! Und wie einfach sie wirkt. Sie wird unsere Nöte verstehen.«
    »Was ist das für ein Tier, das unten aus dem Mantel hervorschaut?«, sagte das kleine Mädchen, das neben ihr saß.
    »Ein Salamander«, erwiderte die Mutter. »Gott liebt alle Tiere. Also auch ihn.«
    Nach dem Schlusssegen erhob sich aus der Gruppe der Mantellatinnen eine zarte Gestalt.
    »Das Weib schweige in der Kirche«, sagte Caterina Benincasa mit fester Stimme. »So hat Paulus es gefordert, und wir Frauen sind angehalten, dem großen Lehrer in Liebe und Demut zu folgen. Doch manchmal darf man dennoch nicht länger schweigen, vor allem nicht, wenn großes Unrecht geschieht.« Sie breitete die Arme weit aus. »Zum ersten Mal will ich mich einmischen in die Dinge dieser Welt, denn mir ist sehr bang geworden um das Volk von Siena. Seid ihr wirklich so verblendet, dass ihr den Lehren eines Scharlatans glaubt? Hier steht er, euer Oberhirte, der Bischof der Stadt, Gottes Diener. Jener andere aber, der in den Straßen brüllt und geifert, ist lediglich ein Knecht Satans. Kommt endlich zur Vernunft, Brüder und Schwestern in Christi! Zeigt Mut, sagt euch von ihm los und von seinen Irrlehren! Lasst keine Spaltung in euer Herz, denn nur die wahre, reine Liebe des Gottessohnes kann euch eines Tages das Tor zum Paradies öffnen!«
    Caterina sank in sich zusammen, als habe der öffentliche Auftritt sie zutiefst erschöpft. Doch als zwei der frommen Frauen sie beiderseits stützten, leuchteten ihre Augen wieder.
    »Das war wunderbar«, sagte Gemma, als sie Caterina draußen inmitten
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