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Die Sünderin von Siena

Die Sünderin von Siena

Titel: Die Sünderin von Siena
Autoren: Brigitte Riebe
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dumm, aber täusch dich bloß nicht – die versteht nämlich viel mehr, als man denkt!«
    Catas Lächeln kehrte zurück, und auch Angelina sah plötzlich viel fröhlicher drein.
    »Außerdem sind sie doch noch viel zu jung, um ein schlechtes Gewissen zu haben«, sagte Gemma. »Das kommt irgendwann von ganz allein und fast immer zu früh, glaubt Ihr nicht?«
    Die Frau senkte den Kopf, als hätten diese Worte etwas in ihr ausgelöst, das sie lieber für sich behalten wollte, und als sie sie wieder ansah, wirkte sie plötzlich befangen.
    »Meine Kinder sollen schon von klein auf alles ganz genau lernen«, sagte sie. »Damit sie später einmal Menschen werden, die jeder achtet und schätzt.«
    »Ihr müsst schon jetzt sehr stolz auf sie sein«, sagte Gemma, »Monna …«
    »M amma «, verbesserte sie die andere. »Mamma Lina. So nennen mich alle hier in Siena.«
    »Die Kinder sind noch so jung an Jahren und schon voller Mitgefühl für Fremde, Mamma Lina«, fuhr Gemma fort und ließ sich ihr Erstaunen über die ungewohnte Anrede nicht anmerken. »Nein, Eure drei kleinen Engel haben mich nicht gestört, ganz im Gegenteil, Ihr könnt völlig beruhigt sein.«
    Sie sank zurück auf die Knie, nachdem die Frau und die Kinder sich verabschiedet hatten, doch so sehr sie sich auch bemühte, rechte Sammlung wollte sich nicht mehr einstellen. Und die dunklen Gedanken von zuvor überfielen sie nur noch heftiger, rasten nun in ihr wie ein Schwarm wilder Bienen.
    Was nur sollte sie tun?
    Die geliebte Stadt verlassen, in der sie aufgewachsen war, und irgendwo in der Fremde auf neues Glück bauen? Sich zu entfernten Verwandten flüchten, bis die Kunde von ihrem verzweifelten Schritt auch dort eintraf und sie erneut vertreiben würde? Oder sich lieber gleich irgendwo außerhalb der roten Mauern Sienas in die Felder legen und hoffen, später Nachtfrost würde sie gnädig erfrieren lassen und damit alle Probleme lösen?
    Jetzt erschienen ihr sogar die schwarz-weißen Säulen als stumme, unerbittliche Mahnmale. Gemma konnte ihren Anblick auf einmal nicht länger ertragen, machte kehrt und stolperte fast blindlings ins Freie.
    »Signora?« Im ersten Augenblick glaubte sie zu träumen. Aber sie standen tatsächlich im Abendlicht vor ihr, Mamma Lina und die Kinder. »Da bist du ja endlich!« Der Junge trat auf sie zu, die Mädchen folgten ihm beherzt.
    »Sie haben darauf bestanden, auf Euch zu warten«, sagte Lina entschuldigend. »Vor allem Lelio war durch nichts davon abzubringen. ›Sie braucht uns‹, hat er immer wieder gesagt. ›Sie ist ebenso allein, wie wir es waren. Sie weiß nicht, wohin, das kann ich spüren. Ich bin mir sicher, dass sie uns braucht.‹«
    Eine warme Welle erfasste Gemma. Wie lange war es her, dass jemand sich so rührend um sie gesorgt hatte? Sie beugte sich zu Lelio hinunter, legte die Hand auf seinen runden Kopf.
    »Du bist ein ganz besonderer Junge, Lelio«, sagte sie. Jetzt erst fiel ihr auf, dass sein rechtes Ohr eine tiefe Kerbe spaltete. Wie ein junger Kater, der sich mit Artgenossen um Futter und Rangfolge balgen muss, dachte sie, plötzlich erneut gerührt. »Und außerdem ein sehr kluger dazu, weißt du das?«
    Lelio nickte, sprachlos vor Entzücken.
    »Und natürlich hast du recht. Ich hab mein Zuhause verloren und weiß tatsächlich nicht, wohin. Hast du vielleicht eine Idee?«
    »Klar.« Sein Grinsen entblößte schief gewachsene, starke Zähne. »Hab ich. Aber erst, wenn du mir gesagt hast, wer du bist.«
    Seine unverblümte Art ließ nun auch sie lächeln.
    »Ich bin Gemma«, sagte sie, ohne auch nur einen Moment zu zögern. »Gemma Santini.«
    Während Gemma noch die eigenen Worte im Ohr klangen, drückte Angelina vertrauensvoll den warmen Kinderbauch gegen ihren Schenkel, und auf der anderen Seite patschte Cata so selbstverständlich nach ihrer Hand, als hätte sie es schon viele Male zuvor getan.
    »Warum kommst du nicht mit uns, Gemma?«, sagte Lelio. »Wir bringen dich hinüber, ins Hospital Santa Maria della Scala, das so lange auch unsere Heimat war.«

    ❦
    »Bist du die neue Köchin?«
    Gemma hob den Kopf von den brodelnden Töpfen und schaute in ein Paar dunkle Augen. Dann wanderte ihr Blick weiter: Stoppelige Wangen, als sei er gerade erst aus dem Bett gekrochen. Dazu dichtes Silberhaar, wirr allerdings und ausgewachsen, doch das Männergesicht darunter erschien ihr überraschend jung.
    »Die Köchin hat der Zahnwurm befallen. Ich bin nur eine Hilfskraft und fürchte, ich werde sie bei
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