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Die Sünde in mir

Die Sünde in mir

Titel: Die Sünde in mir
Autoren: Alegra Cassano
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Umgebung und bin bereit loszulaufen.
     
     
    Jemand betritt den Raum, das höre ich. Meine Muskeln spannen sich an. Ob ich wirklich die Kraft habe, wegzulaufen, weiß ich nicht. Vielleicht falle ich wieder hin, wie beim letzten Mal.
    „Hallo, Nicole“, sagt der Mann. Ich kenne ihn aus dem Büro, in dem die Bilderrahmen ohne Bilder an der Wand hängen. Seinen Namen habe ich aber vergessen.
    „Ich hoffe, du fühlst dich gut?“
    Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll. Ich habe keine Ahnung, wie ich mich fühle. Also sage ich nichts.
    „Ich soll dir schöne Grüße von Frank bestellen.“
    Frank?! Wieso ist er nicht hergekommen?
    „Hat Frank keine Zeit?“, will ich wissen. Meine Stimme klingt so leise, als würde ich von ganz weit weg sprechen. Ich mag Frank.
    „Leider nicht. Aber er kommt dich bald wieder besuchen. Hättest du gerne, dass er kommt?“
    Ich nicke. Natürlich würde ich Frank gerne sehen. Er spielt doch immer mit mir oder liest mir etwas vor.
    „Erinnert dich Frank an jemanden, den du kennst?“
    Ich runzle die Stirn. Das ziept. Als ich hin fasse, fühle ich ein Pflaster. Wie ist das denn da hingekommen?
    „Nein“, antworte ich. An wen sollte Frank mich denn erinnern?
    „Ich würde dir gerne jemand anderen zeigen, wenn du magst.“
    Mein Blick wandert suchend im Zimmer umher. Hier ist sonst niemand. Wen will er mir zeigen?
    „Wen denn?“, frage ich.
    „Das wird nicht verraten. Es ist eine Überraschung. Bist du bereit?“
    Ich liebe Überraschungen, wenn es schöne sind. Gespannt schaue ich auf die Tür, zu der der Mann jetzt geht. Er öffnet sie und mir bleibt der Mund vor Staunen offen stehen. Ich setze mich aufrecht hin. Das kann doch nicht wahr sein, oder?
    „Diese junge Dame wollte dich unbedingt besuchen“, erklärt mir der Mann.
    Ich will aufstehen und versuche, die Beine aus dem Bett zu bekommen, aber es geht nicht.
    „Bleib ruhig liegen. Wir kommen zu dir.“
    Der Mann kommt mit dem Mädchen auf mich zu. Ich starre sie mit großen Augen an. Sie hat sich verändert. Ihre Haare sind anders, aber es ist ja auch schon so lange her. Sie sieht gut aus, nicht mehr so dürr. Ich strecke die Arme nach ihr aus. Dass ich sie noch mal sehen darf! Fast hätte ich selbst nicht mehr daran geglaubt.
    „Wo bist du nur gewesen?“, flüstere ich mit rauer Stimme, denn die Tränen schnüren mir die Kehle zu. Das Mädchen kommt zögernd auf mich zu. Kennt sie mich denn nicht mehr? Was ist denn los? Erst als der Mann ihr zunickt, kommt sie langsam näher. Ein sehnsuchtsvolles Ziehen erfüllt meinen Unterleib. Ich muss sie anfassen, um zu sehen, ob sie echt ist. Vielleicht bilde ich mir ja wieder nur ein, dass sie da ist. Der Mann beobachtet uns ganz genau und kommt jetzt auch näher ans Bett. Zögernd streckt mir das Mädchen die Hand entgegen. Ich halte es fast nicht mehr aus. So eine lange Zeit! Die ersten Tränen fließen.
    „Sabine!“, hauche ich, „Ich wusste doch, dass du nicht tot bist! Wo bist du nur gewesen?“
     
     
     
     
     
     
     
     

Kapitel 93
    Früher
     
     
    Wir müssen früh aufstehen. Die Wohnung ist voller Menschen. Onkel und Tanten und Verwandte, die ich kaum oder gar nicht kenne. Ich weiß nicht, wo die alle hergekommen sind. Mama kann kaum etwas machen. Ein paar Frauen helfen ihr sogar beim Anziehen. Papa steht mit einigen Männern auf dem Balkon. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ins Bad komme ich nicht rein, also ziehe ich mich einfach so an, ohne mich zu waschen.
    „Du kannst so nicht auf eine Beerdigung gehen“, sagt eine der alten Tanten zu mir. Ich weiß nicht mal, wie sie heißt.
    „Sie kommt nicht mit“, höre ich Papa sagen. Gemurmel wird laut. Papa nimmt mich an die Hand und bringt mich nach nebenan zu Frau Brauer. Ich bin froh, bei ihr zu sein.
    „Dein Papa hat recht“, sagt Frau Brauer, „eine Beerdigung ist nichts für Kinder. Bleib lieber bei mir. Wir können das Grab ja später besuchen.“
    Ich weiß, dass Sabine heute beerdigt wird. Papa hat mir das gesagt, aber ich kann es mir nicht vorstellen. Sie können Sabine doch nicht einfach in einen Sarg legen und Erde und Blumen auf sie drauf werfen. Das geht doch nicht!
    Mit gesenktem Kopf sitze ich an Frau Brauers Frühstückstisch. Ich habe keinen Hunger. Mama hat gestern so viel geweint, dass Papa den Arzt angerufen hat und der ist dann sogar zu uns nach Hause gekommen. Ich habe mich in meinem Zimmer versteckt und durch das Schlüsselloch geguckt. Viel gesehen habe ich aber nicht. Papa hat
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