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Die Sünde des Abbé Mouret

Die Sünde des Abbé Mouret

Titel: Die Sünde des Abbé Mouret
Autoren: Emile Zola
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rinnendes Blut.
Dann pflückte sie noch Malven, Heliotrop, Winden und Lilien. Mit
beiden Händen griff sie in die blühenden Malvenstengel, deren
seidige Rüschen sie unbarmherzig zerdrückte; sie wütete in den
Blütenschlingen der den Abendlüften kaum geöffneten Winden, mähte
Heliotropfelder ab und häufte ihre Ernte zusammen; wie Binsenbündel
trug sie Lilienstengel unter den Armen. Als sie wiederum beladen
war, ging sie ins Gartenhaus und warf die Veilchen, Nelken, Malven,
Nachtviolen, Lilien und Heliotrope zu den Rosen; und ohne sich Zeit
zu lassen, stieg sie wieder hinab.
    Diesmal begab sie sich nach jenem düsteren Winkel,
der wie der Kirchhof des Paradeis
anzusehen war. Ein sengender Herbst hatte hier Frühlingsblumen zur
zweiten Blüte verlockt. Auf den Knien liegend, im Gras, machte sie
sich vor allem über die Tuberosen- und Hyazinthenbeete her und
erntete ein mit der Genauigkeit eines Habsüchtigen. Die Tuberosen
waren ihr Blumen der Kostbarkeit, aus denen sie Tropfen für Tropfen
Reichtümer, Gold, außerrodentliches Gut gewann. Die Hyazinthen,
blühend beperlt, wurden ihr zu Halsgeschmeiden aus Perlen, denen
Menschen unbekannte Freuden enttropften. Und trotzdem sie
verschwand in der Menge der abgeschnittenen Hyazinthen und
Tuberosen, fiel sie, etwas weiter, verheerend in Mohnfelder ein,
und dann gelang ihr noch, eine Ringelblumenwiese zu plündern. Über
Tuberosen und Hyazinthen häuften sich Ringelblumen und Mohn. Sie
lief zurück und entledigte sich ihrer Lasten im blauüberwölbten
Zimmer. Wieder stieg sie hinunter; was sollte sie nun pflücken? Den
ganzen Blumengarten hatte sie abgeerntet. Hob sie sich auf den
Fußspitzen, traf ihr Blick im Schattengrau nur noch auf erstorbene
Gartenfelder, beraubt ihrer zärtlichen Rosenaugen, des roten
Lächelns ihrer Nelken, des duftenden Heliotropgelocks. Mit leeren
Armen aber wollte sie nicht ins Haus zurück; so griff sie nach
Gräsern und Blattgrün; kniend preßte sie ihren Busen bodenwärts und
suchte im letzten Leidenschaftsumarmen die Erde selbst
fortzutragen. Jetzt wurden Gewürzpflanzen geerntet; Zitronat,
Minze, Eisenkraut sammelte sie in ihre Röcke. Sie fand eine
Einfassung von Balsamkraut und ließ kein Blättlein stehen. Zwei
große Fenchelstauden sogar riß sie aus und warf sie sich über die
Schulter wie Baumstämme. Wäre es möglich gewesen, hätte sie mit
zusammengebissenen Zähnen den ganzen
Gartenteppich ergriffen und fortgeschleift. Auf der Schwelle des
Gartenhauses wandte sie sich um und warf einen letzten Blick auf
das Paradeis. Dunkel lag es, die Nacht war vollkommen
hereingebrochen und hatte sein Antlitz mit schwarzen Tüchern
überbreitet. So ging sie auf Nimmerwiedersehen.
    Bald war das große Zimmer geschmückt. Sie hatte eine brennende
Lampe auf den Spiegeltisch gestellt und die in der Zimmermitte
gehäuften Blumen ausgelesen, die sie zu großen Gewinden band und
überall verteilte. Auf dem Spiegeltisch zuerst um die Lampe tat sie
breite liliengewobene Spitze, die unschuldsweiß das Licht
sänftigte. Dann warf sie Hände voll Nelken und Malven über das alte
Sofa, dessen bemusterter Stoff schon mit roten hundertjährig
verwelkten Sträußen besät war; der Stoff verschwand, das Sofa zog
sich an der Wand wie ein nelkenstarrendes Malvenbeet. Die vier
Sessel reihte sie vor der Bettnische auf; den ersten füllte sie mit
Ringelblumen, den zweiten mit Mohn, den dritten mit Nachtviolen,
den vierten mit Heliotrop; von den überblümten Sesseln sah man nur
noch die Lehnenknäufe; wie blühende Pfeiler nahmen sie sich aus.
Schließlich bedachte sie das Lager. Sie rollte einen Tisch in die
Nähe des Kopfendes und überhäufte ihn mit Veilchen. Das Bett
verbarg sie vollständig unter all den Tuberosen, den ganzen
Hyazinthen, die sie gepflückt hatte. Die Schicht war so dicht, daß
sie an der vorderen Langseite, am Fuß- und Kopfende und zwischen
Wand und Bett überquoll und in schleppenden Trauben niederhing. Nun
aber gab es noch die Rosen. Sie streute sie auf Geratewohl
überallhin und achtete nicht einmal, wohin sie fielen; über
Spiegeltisch, Sofa, Sessel sanken sie,
überspielten einen Teil des Bettes. Minutenlang regnete es
Rosenbüsche, sank gewitterschwer die Blumenflut nieder und
überspülte die Ritzen des brüchigen Bodens. Als sich die
Rosenmengen aber kaum minderten, flocht sie Girlanden und schlang
sie über die Wände. Den kleinen Liebesgöttern aus Stuck, die den
Alkoven neckend überspielten, hingen Gewinde um Hals, Arme
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