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Die Suche nach dem Regenbogen

Titel: Die Suche nach dem Regenbogen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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blutigen Fäusten auf sie ein, dann schleuderte er sie wie ein Bündel Lumpen in die glitschige Pfütze am Fußende des Bettes. Bridget Pickering behauptete jedoch bis ans Ende ihrer Tage steif und fest, daß sie, ehe sie das Bewußtsein verlor, eine abstoßende, nackte dunkle Gestalt erblickt hätte, die sich lächelnd über Rowland Dallets Leichnam beugte und mit langen, schuppigen Fingern in ihm herumstocherte wie ein Kind, das die Silbermünze im Weihnachtspudding sucht.

    Ich wachte auf und sehnte mich nach Apfelsinen, Apfelsinen aus Spanien. Dabei hatte ich in meinem ganzen Leben erst eine gegessen. Und ich bekomme Apfelsinen, dachte ich, als ich die Füße aus dem Bett streckte. Der Regen hatte den Himmel blank gewaschen, und rosig und einladend schien das neue Morgenrot durch das Atelierfenster. Barfuß und im Hemd nahm ich ungeachtet der Kälte einen Wieselzahn und gab dem kleinen Rund aus Pergament den letzten Schliff, das ich am gestrigen Abend fest auf eine alte Spielkarte geklebt und über Nacht hatte trocknen lassen. Ich holte mir die Zeichnung, die mein Mann von der Prinzessin angefertigt hatte. Ein Kinderspiel, dachte ich, als ich das glatte, hübsche Gesicht mit der leisen Andeutung eines verwöhnten Schmollmundes betrachtete. Ich reihte saubere Muschelschalen auf, in denen die Farben gemischt wurden, und nahm sechs der besten Pinsel, die dünnen kleinen Fehhaarpinsel, die ich für Master Dallet angefertigt hatte. Ich zerstieß und mischte frisches Inkarnat, damit ich den hellen, hübschen Hautton auch ja traf, grundierte das Pergament damit und ließ es trocknen. Es ging kinderleicht; das hatte ich hundertmal für ihn getan, das hundertunderste Mal war für mich selbst. Mittlerweile war ich durchgefroren und froh, daß Nan Feuer gemacht hatte. Und Brot hatte sie mir auch eingeweicht, da ich Zahnweh hatte. Ich war zwar erst im sechsten Monat, aber schon lockerten sich alle Zähne. Zuweilen träumte mir des Nachts, sie wären ausgefallen und ich wäre mit Zwanzig ein zahnloses altes Mütterlein. Das war noch schlimmer als die heftigen Kopfschmerzen, die mich plagten, bis mir alles vor den Augen verschwamm.
    Nan zuliebe versuchte ich zu essen, brachte aber keinen Bissen hinunter, denn mir wurde allein schon vom Geruch der Speisen übel. »Ich esse später etwas«, sagte ich, »wenn die Zeichnung fertig ist, geht es mir gewiß besser. Hilf mir jetzt beim Ankleiden.« Über mein Kleid zog ich den Seidenkittel, den mein Mann beim Malen von Miniaturen trägt, denn auf das winzige Bild durften weder Haare noch Kleiderfusseln fallen, dann setzte ich mich an den Arbeitstisch. Das Pergamentrund auf dem Zeichenbrett schien sich vor meinen Augen zu wellen und zu verdoppeln. Ich konnte kaum die Finger beugen, so geschwollen waren sie.
    Auf einmal wurde ich völlig leer und kalt. Das ganze schamlose Selbstvertrauen schien sich zu verflüchtigen, und ich wurde mir meiner furchtbaren Schlechtigkeit und Aufsässigkeit bewußt, denn schließlich war ich nicht besser als die schlimmsten Beispiele aus meinem Buch für eine ungehorsame Ehefrau, und die strafte Gott für ihre Lügen gar gräßlich, indem er ihre Zunge schwarz werden und abfaulen ließ. Es war mehr als ein Jahr her, seit ich eine Linie zu Papier gebracht hatte. Was, wenn mir meine Kunstfertigkeit als Strafe für meinen Stolz genommen worden wäre? Was sollte ich nur diesen reichen Franzosen erzählen? Lieber Gott, wenn Master Dallet herausfand, was ich getan hatte, vielleicht brachte er mich um. Mich schauderte. Master Dallet konnte schrecklich in Zorn geraten, und jetzt hatte er tatsächlich Grund dazu, ich verdiente die Strafe wirklich. Mittlerweile war ich völlig verängstigt und wußte, ich würde niemals malen können, denn mir war, als verbärge sich ein nacktes, böses Wesen in der Ecke, das selbst den hellichten Tag zur Nacht machte.
    Dann versuchte ich, meiner Angst mit dem Gedanken an das viele, viele Geld und an all das Gute, das ich damit bewirken könnte, Herr zu werden, was alles nur für andere und deshalb höchst tugendhaft und schicklich war. Wie sollte er überhaupt dahinterkommen, wenn ich den Mund hielt? Wirklich ein sehr einleuchtender Grund, mich gewaltig anzustrengen. Das heißt, es glich sich alles aus, die Schlechtigkeit einerseits, doch recht entschuldbar und wettgemacht durch wahrhaft bewundernswerte Mildtätigkeit andererseits. Bei dem Gedanken beruhigte ich mich, und meine Finger kamen mir wieder beweglich vor. Ich beginne
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