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Die Sturmfluten des Frühlings

Die Sturmfluten des Frühlings

Titel: Die Sturmfluten des Frühlings
Autoren: Ernest Hemingway
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ging, beendete gemächlich seine Mahlzeit, nahm einen Zahnstocher, steckte ihn sich zwischen die Zähne und folgte dann seinem Freund hinaus in die Nacht.

3
    Sie waren jetzt allein in der Bohnenstube. Scripps und Mandy und Diana. Nur der Reisende war bei ihnen. Er war inzwischen ein alter Freund geworden. Aber heute abend waren seine Nerven überreizt. Jäh faltete er seine Zeitung zusammen und ging auf die Tür zu.
    «Wiedersehen», sagte er. Er ging hinaus in die Nacht. Es schien das Einzige, was man tun konnte. Er tat es.
    Jetzt waren sie nur noch drei in der Bohnenstube. Scripps und Mandy und Diana. Nur die drei. Mandy erzählte. Sie lehnte auf der Theke und erzählte. Scripps hielt seine Augen auf Mandy gerichtet. Diana tat jetzt nicht mehr so, als ob sie zuhörte. Sie wußte, es war vorbei. Jetzt war alles vorbei. Aber einen Versuch würde sie noch machen. Noch einen letzten tapferen Versuch. Vielleicht konnte sie ihn doch noch halten. Vielleicht war alles nur ein böser Traum gewesen? Sie festigte ihre Stimme, und dann sprach sie.
    «Scripps, mein Lieber», sagte sie. Ihre Stimme bebte ein wenig. Sie festigte sie.
    «Was hast du denn?» fragte Scripps jäh. Ach, da war es wieder. Wieder diese scheußliche, abgehackte Sprache.
    «Scripps, mein Lieber, wollen wir nicht nach Hause gehen?» Dianas Stimme zitterte. «Es ist ein neuer Mercury da.» Sie hatte vom London Mercury zum American Mercury hinübergewechselt, nur Scripps zuliebe. «Er ist gerade gekommen. Ich wäre so froh, wenn du nach Hause kommen wolltest, Scripps. In diesem Mercury ist eine ausgezeichnete Sache drin. Bitte, komm doch, Scripps. Ich hab dich noch nie um etwas gebeten. Komm nach Hause, Scripps. Ach, willst du nicht nach Hause kommen?»
    Scripps blickte auf. Dianas Herz schlug schneller. Vielleicht würde er kommen. Vielleicht hielt sie ihn doch. Ihn halten. Ihn halten.
    «Bitte komm doch, Scripps, mein Lieber», sagte Diana leise. «Es ist ein fabelhafter Leitartikel von Mencken über die Chiropraktiker darin.»
    Scripps blickte weg.
    «Willst du nicht kommen, Scripps?» bettelte Diana. «Nein», sagte Scripps. «Mencken kann mir gestohlen bleiben.»
    Diana ließ den Kopf sinken. «Ach, Scripps», sagte sie, «ach, Scripps.» Dies war das Ende. Jetzt hatte sie ihre Antwort. Sie hatte ihn verloren. Ihn verloren. Ihn verloren. Es war vorbei. Fertig. Erledigt. Sie saß da und weinte still vor sich hin. Mandy erzählte wieder.
    Plötzlich richtete sich Diana auf. Sie hatte eine letzte Bitte vorzubringen. Um eines würde sie ihn bitten. Nur um eines. Er konnte es ihr abschlagen. Er mochte es ihr nicht gewähren. Aber bitten würde sie ihn.
    «Scripps», sagte sie.
    «Was ist denn jetzt?» Scripps wandte sich ihr irritiert zu. Vielleicht tat sie ihm schließlich doch leid. Er wußte nicht recht.
    «Kann ich den Vogel haben, Scripps?» Dianas Stimme versagte.
    «Klar», sagte Scripps. «Warum nicht?»
    Diana nahm den Vogelkäfig auf. Der Vogel schlief. Er stand auf einem Bein, wie an dem Abend, als sie sich zum erstenmal gesehen hatten. Wie sah er doch noch aus? Ach ja. Wie ein alter Seeadler. Ein alter, alter Seeadler aus ihrem heimatlichen Lake District. Sie hielt den Käfig an sich gepreßt.
    «Danke sehr, Scripps», sagte sie. «Danke sehr für den Vogel.» Ihre Stimme versagte. «Und jetzt muß ich gehen.»
    Gefaßt und schweigend hüllte sie sich in ihr Tuch, drückte den Käfig mit dem schlafenden Vogel und das Exemplar des Mercury ihre Brust, warf nur einen einzigen Blick zurück, einen letzten Blick auf ihn, der ihr Scripps gewesen war, öffnete die Tür der Bohnenstube und ging hinaus in die Nacht. Scripps sah nicht einmal auf, als sie wegging. Er war gefesselt von dem, was Mandy sagte. Mandy erzählte wieder.
    «Der Vogel, den sie da mitgenommen hat…» sagte Mandy.
    «Ach, sie hat einen Vogel mitgenommen?» fragte Scripps. «Fahren Sie doch fort mit der Geschichte.»
    «Sie haben sich immer den Kopf zerbrochen, was für eine Art von Vogel das war», fuhr Mandy fort.
    «Das stimmt», pflichtete Scripps bei.
    «Na, das erinnert mich an eine Geschichte von Gosse und dem Marquis von Buque», fuhr Mandy fort.
    «Erzählen Sie doch, Mandy. Erzählen Sie doch», drängte Scripps.
    «Ich erinnere mich dunkel, daß ein guter Freund von mir, Ford – Sie haben mich schon häufiger von ihm sprechen hören –, während des Krieges im Schloß des Marquis wohnte. Sein Regiment war dort einquartiert, und der Marquis, einer der reichsten, wenn
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