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Die Stunde des Löwen

Die Stunde des Löwen

Titel: Die Stunde des Löwen
Autoren: Alexander Köhl
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Chef?«
    Er betete, dass seine Alkoholfahne die Halbwertszeit eines explodierenden Chinakrachers hatte. Major Tom rümpfte die Nase, und Klaus Sebald wusste, dass sein Gebet nicht erhört worden war.
    Â»Noch so etwas wie gestern Abend und Sie finden sich als Verkehrspolizist in der Innenstadt wieder.«
    Sebald zögerte kurz, überdachte eine schnelle Antwort in der Art wie »Sie wissen doch, dass ich nichts lieber täte, um diesem Büromuff zu entgehen«, überlegte es sich jedoch anders, nahm Haltung an und murmelte ein »Alles klar, Chef!«. Dann verließ er das Büro seines Vorgesetzten.
    Draußen warteten Glotzke und Barmer, die sich amüsierte Blicke zuwarfen. Schweigend gingen sie in den Hof zu den Dienstwagen. In der warmen Vormittagsluft tanzte ein Schwarm Mücken. Eine Biene torkelte über ihre Köpfe. Der Tag versprach wieder heiß zu werden. Sebald war froh, dass er das kurzärmlige Hemd trug. Er trat nach einem Kieselstein, hörte, wie Barmer nach ihm rief, und beeilte sich, ins Auto zu kommen. Er ließ sich neben Glotzke auf dem Rücksitz nieder, der damit beschäftigt war, seine Ausrüstung zu überprüfen. Als sie losfuhren, lehnte sich Sebald ans Fenster, schloss die Augen und malte sich aus, wie die blonde Betrügerin – eingewickelt in seiner Lederjacke – sich selbst befriedigte. Die Vorstellung erregte ihn so sehr, dass ihm ein Stöhnen entfuhr und Glotzke – die Lautäußerung missverstehend – ihm eine Plastiktüte in die Hand drückte.

2
    Der halbe Tierpark war abgesperrt. Bulldozer und Planierraupen gruben sich durch das Gelände, schoben Sand und Steine übereinander und schaufelten zukünftige Wassergräben in den Untergrund. Der Zoo war Großbaustelle, und man konnte unmöglich mit dem Wagen direkt vor das Exotarium fahren. Als aufwendige Verschönerung und zwecks Verwirklichung moderner Haltungsmethoden schuf man neue, größere Gehege.
    Glotzke hatte Schlagseite, er schleppte seinen schweren Ausrüstungskoffer mit sich herum. Alle paar Meter blieb er stehen und schüttelte die Hand aus. Barmer wirkte grimmig und auf ungewohnte Weise nachdenklich. Allein Sebald genoss den Spaziergang, hatte plötzlich »Killing Me Softly« im Ohr. Kopfschmerzen und Kater hatten sich verdrückt.
    Sebald dachte an den vergitterten, türgroßen Spiegel im Menschenaffenhaus mit dem seltsamen Schild: »Hier sehen Sie das gefährlichste Säugetier der Welt, den Homo sapiens .« Als Kind stand er oft davor, begriff nicht, dass er selbst damit gemeint war, wunderte sich nur, warum seine Mutter hinter ihm wissend ihr eigenes Spiegelbild anlächelte. Lange Zeit hielt er diesen Käfig für ein großes Geheimnis, stellte sich eine Bestie hinter dem Spiegel vor, dessen Gefährlichkeit so groß war, dass man ihren Anblick den Zoobesuchern nicht zumuten konnte.
    Mit der Zeit hatte er den Homo sapiens, den weisen Menschen, und seine schlechten Seiten zur Genüge kennengelernt. Vielleicht war das einer der Gründe, warum er Polizist geworden war: um als Großwildjäger das bösartige Säugetier Mensch zu erlegen. Er kannte viele Kollegen, die diese Lust am Jagen in sich spürten und nicht selten sehr gute Polizisten waren. Unsympathisch waren ihm allerdings die Hetzer, die Ungeduldigen, die ein schnelles Ergebnis suchten und für die der erste Verdächtige meistens auch der Schuldige war. Barmer, das wusste Sebald, war so ein Typ, und er überlegte, ob ihn der Major mit Absicht zusammen mit Barmer losschickte. Er beschloss, sich auf keinen Fall provozieren zu lassen, und war froh, dass Kollege Glotzke dabei war.
    Sie bogen jetzt schweigend um die Ecke und erblickten das rautenförmige, denkmalgeschützte Gebäude, an dessen Vorderfront eine Meereslandschaft aus bunten Mosaiksteinen prangte. Sebald kannte das Haus aus seiner Kindheit, und eine aufgeregte Neugier wie vor dem Treffen mit einem guten alten Bekannten überkam ihn.
    Der Eingangsbereich war mit rot-weiß gestreiften Plastikbändern abgesperrt. Drei Personen standen davor, die sich lautstark unterhielten. Barmer nickte ihnen zu und legte los.
    Â»Polizei. Guten Tag. Wir wurden angerufen wegen des – nennen wir es vorerst – Unglücksfalls.«
    Â»Guten Morgen«, erwiderte ein älterer Herr in einem braunen, etwas schäbigen Trenchcoat. »Ich bin der Direktor des
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