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Die Stunde des Löwen

Die Stunde des Löwen

Titel: Die Stunde des Löwen
Autoren: Alexander Köhl
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gähnen würde – fast immer lag Paschke mit seiner Voraussage richtig.
    Die Muräne schob sich aus ihrer Amphorenfestung und schlängelte sich an der Scheibe hoch. Martin Paschke bückte sich nach seiner Jacke und zog einen in Zeitungspapier eingewickelten Klumpen gefrorenes Rinderherz hervor. Er ließ die Jacke sinken und ging in Richtung des Technikraums, wo er die einzelnen Großaquarien von oben erreichen konnte. Er freute sich auf den Moment, wenn er die Handvoll Fleisch ins Wasser tauchen und sich die Muräne auf das Futter stürzen würde, während er mit den Fingern über den schlanken, weichen Körper des Geschöpfes streicheln würde.
    Er schlurfte zur Treppe, zog sich an einem speckigen Handlauf hoch und erstarrte.
    Die Tür stand einen Spalt offen, die Raumbeleuchtung war eingeschaltet. Ein Mann, den er nicht kannte, balancierte breitbeinig auf den Rändern eines der Quarantänebecken und stieß mit einem herdplattengroßen Kescher immer wieder in das aufspritzende Wasser. Schließlich presste er den Kescher gegen das Glas und zog das Netz mitsamt der Beute über den Rand. Ein Spatelwels von beachtlicher Länge, der es locker mit Paschkes Lieblingsmuräne aufnehmen konnte, klatschte auf den Boden und verdrehte die kleinen Augen. Nur eine Sekunde später wandte sich der Mann um.
    Â»Verdammt, was tun Sie hier?«
    Paschke dachte, dass er es war, der diese Frage hätte stellen müssen. Er tastete nach seinem Handy, bis ihm einfiel, dass es in seiner Jacke sein musste, die vor dem Muränenbecken lag. Verzweifelt machte er einen Schritt nach vorne, schüttelte die Fäuste und brüllte: »Bleiben Sie stehen, sonst rufe ich die Polizei!«
    Â»Das würde ich an Ihrer Stelle schön sein lassen!«
    Der Mann zog etwas hinter seinem Körper hervor und richtete es auf sein Gegenüber. Paschke starrte in die tiefschwarze Öffnung eines Pistolenlaufs. Er drehte sich um und rannte los, stockte einen Moment, als er die Tür erreichte, wartete auf die Kugel, die kommen musste, dann war er draußen in der Dunkelheit des nächtlichen Gebäudes. Keuchend stolperte er die Treppe zu den Terrarien hinauf. Er hoffte, dass er seinen Heimvorteil nutzen und im Finstern entwischen konnte.
    Martin Paschke hatte Angst. Er hielt inne und lauschte: Grillen zirpten. In dem Käfig hinter ihm kroch etwas durch das Laub. Dann Schritte, die sich näherten. Er bog in einen der Seitengänge, wo die tropischen Würgeschlangen untergebracht waren. Hier war es deutlich wärmer als unten in der Fischhalle. Hinter einer gewaltigen Monstera-Pflanze, deren Luftwurzeln einen hölzernen Vorhang bildeten, versteckte er sich. Wassertropfen sammelten sich auf seiner Haut. Er wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht, inhalierte Blutgeruch. In seiner Faust steckte immer noch der Klumpen Rinderherz. Er hielt den Atem an und starrte auf das rote Licht der Notbeleuchtung. Wartete.
    Dann sah er den Schatten. Der Mann hatte die Waffe immer noch in der Hand. An der Abzweigung blieb er stehen.
    Â»Ich weiß, dass Sie hier sind. Kommen Sie raus, und ich erkläre Ihnen alles!«
    Paschke duckte sich hinter den Vorhang aus Luftwurzeln, atmete flach und schluckte feuchte, exkrementgeschwängerte Luft. Etwas kratzte in seinem Hals.
    Die dunkle Gestalt hob witternd den Kopf, drehte sich in alle Richtungen.
    Paschke spürte den Klumpen in seiner Hand. Es fühlte sich an, als hätte das aufgetaute Herz zu schlagen begonnen. Hinter dem Insektarium gab es einen Notausgang. Falls er es bis dahin schaffte, konnte er vielleicht entwischen und Hilfe holen.
    Der Schatten des Mannes näherte sich, blieb stehen, schlich weiter. Er war ganz nah. Noch drei Meter und der Mann hatte ihn erreicht. Zwei Meter. Noch einen Schritt und er würde Paschke entdecken. Verzweifelt hob er den Arm und schleuderte den Futterbrocken in das offene Becken der Wasserschildkröten, wo er laut klatschend aufschlug. Der Schatten zuckte zusammen, fuhr herum und lief auf das Geräusch zu. Paschke rannte in die andere Richtung.
    Er war alt und nicht in Form, aber er hätte es trotzdem geschafft, wenn er nicht auf halber Strecke ausgerutscht und hingefallen wäre. Noch bevor er sich aufrappeln konnte, packte ihn der Mann an den Schultern und zog ihn an sich. Paschke schrie und trat mit dem Knie gegen den Unterleib des Angreifers, der ächzte und losließ. Ohne
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